Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 210
Die Verfahrensgebühr fällt als volle Gebühr in Höhe von 1,3 an, sobald der Rechtsanwalt die Klage, einen verfahrenseinleitenden Antrag oder einen Schriftsatz, der Sachanträge, die Zurücknahme der Klage oder die Zurücknahme des Antrags enthält, einreicht. Gleiches gilt, sobald er für seinen Mandanten einen Termin wahrnimmt. Endet der Auftrag vorzeitig, erhält er aufgrund seiner Bestellung zum Prozessbevollmächtigten gemäß Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG eine Verfahrensgebühr in Höhe von 0,8.
a) Vorzeitige Beendigung
Rz. 211
Ausreichend für die Entstehung der Verfahrensgebühr dem Grunde nach ist irgendeine Tätigkeit zur Ausführung des prozessbezogenen Auftrags. Endet der Auftrag jedoch, bevor der Anwalt die Klage oder einen Schriftsatz mit Sachantrag/Klagerücknahme bei Gericht eingereicht hat, erhält er nur die reduzierte 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG.
Rz. 212
Beispiel
Fahrer F wird auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch genommen. Er wendet sich an Anwalt A, damit dieser ihn im Verfahren vertritt. Bevor A den Schriftsatz mit Klageabweisungsantrag ans Gericht schicken kann, wird die Klage zurückgenommen.
A erhält lediglich eine 0,8-Verfahrensgebühr nebst Auslagenpauschale und Umsatzsteuer.
b) Einigung über nicht anhängige Ansprüche
Rz. 213
Wird im gerichtlichen Verfahren eine Einigung über nicht anhängige Ansprüche protokolliert, so entsteht dafür zusätzlich eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 2 VV RVG aus dem Wert der nicht anhängigen Ansprüche. Insgesamt wird die Verfahrensgebühr aber nach § 15 Abs. 3 RVG auf eine 1,3-Gebühr aus dem vollen Wert begrenzt.
Rz. 214
Beispiel
A soll im Auftrag des F Reparaturkosten und Verdienstausfall in Höhe von 7.000 EUR einklagen. Im Termin beantragen die Parteien, eine Einigung über die Klageforderung sowie über einen nicht anhängigen Schmerzensgeldanspruch (2.500 EUR) zu Protokoll zu nehmen.
A kann eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG aus 7.000 EUR sowie eine 0,8-Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 VV RVG aus 2.500 EUR in Rechnung stellen – maximal jedoch gemäß § 15 Abs. 3 RVG eine 1,3-Verfahrensgebühr aus 9.500 EUR.
Rz. 215
Das Gleiche gilt, wenn hinsichtlich der nicht anhängigen Ansprüche keine Einigung protokolliert, sondern lediglich (ergebnislose) Einigungsverhandlungen vor Gericht geführt werden. Auch dann fällt eine 0,8-Verfahrensgebühr aus dem Wert der nicht anhängigen Ansprüche an.
c) Mehrere Auftraggeber
Rz. 216
Vertritt der Anwalt im gerichtlichen Verfahren mehrere Auftraggeber, so erhöht sich die Verfahrensgebühr für jeden weiteren Auftraggeber um 0,3 – maximal auf einen Erhöhungssatz von 2,0. Die erhöhte Gebühr bezieht sich aber nur auf denjenigen Gegenstand, an dem die Auftraggeber gemeinschaftlich beteiligt sind.
Rz. 217
Beispiel
E ist Eigentümer und Halter eines Fahrzeugs, das bei einem Verkehrsunfall beschädigt wurde. Er beauftragt Anwalt A, den Sachschaden in Höhe von 12.000 EUR gegenüber dem Unfallgegner G einzuklagen. G erhebt Widerklage gegen E sowie gegen Fahrer F und Haftpflichtversicherer V auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.000 EUR. Auch F und V beauftragen daraufhin A mit ihrer Vertretung im Klageverfahren.
Insgesamt beläuft sich der Gegenstandswert auf 19.000 EUR (§ 22 Abs. 1 RVG). Die Beteiligung der drei Auftraggeber des A ist allerdings unterschiedlich: An einem Teilwert von 12.000 EUR ist nur E beteiligt, da weder F noch V etwas mit der Geltendmachung des Sachschadens zu tun haben. An einem Teilwert von 7.000 EUR sind alle drei Auftraggeber beteiligt, da sie alle für den Sachschaden des G haften können.
Die Gebühren des A berechnen sich entsprechend der Teilwerte wie folgt:
1. 1,3-Verfahrensgebühr, VV 3100 |
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aus 12.000 EUR |
865,80 EUR |
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2. 1,9-Verfahrensgebühr, VV 3100, 1008 |
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aus 7.000 EUR |
847,40 EUR |
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gemäß § 15 Abs. 3 RVG max. 1,9 aus 19.000 EUR |
1.463,00 EUR |
3. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
1.483,00 EUR |
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4. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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281,77 EUR |
Gesamt |
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1.764,77 EUR |
Die Gegenmeinung hält § 15 Abs. 3 RVG in diesen Fällen nicht für anwendbar. Sie ermittelt zunächst eine 1,3-Verfahrensgebühr aus dem gesamten Streitwert und nimmt sodann für den Teil mit demselben Gegenstand die Erhöhung vor.
Rz. 218
Eine Gebührenerhöhung nach Nr. 1008 VV RVG findet aber nicht statt, wenn der Anwalt für eine im Wege des Direktanspruchs mitverklagte Partei und zugleich für diese als Streithelfer einer anderen Partei tätig wird. Denn in diesem Fall vertritt er nicht mehrere Auftraggeber, sondern nur einen Auftraggeber, der in verschiedenen Rollen am Verfahren teilnimmt.
Rz. 219
Beispiel
Der Anwalt vertritt den Haftpflichtversicherer, der vom Unfallgegner (Kläger) im Wege des Direktanspruchs als Beklagter in Anspruch genommen wird. In demselben Rechtsstreit ist der Haftpflichtversicherer den durch einen eigenen Anwalt vertretenen anderen Beklagten (Fahrer und Halter) als Streithelfer beigetreten, weil wegen des Einwand...