Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
Rz. 57
In der Praxis wird der Anwalt häufig mit der Durchsetzung der unfallursächlichen Schadensersatzforderung beauftragt, wobei er die Gegenseite zunächst außergerichtlich zur Zahlung auffordern und dann den Anspruch gerichtlich geltend machen soll. Darin können zwei unterschiedliche Aufträge liegen: Entweder ein unbedingter Auftrag zur außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung und zusätzlich der unter einer aufschiebenden Bedingung erteilte Auftrag, im Falle des Scheiterns der außergerichtlichen Durchsetzung Klage einzureichen. Oder aber es liegt bereits von Beginn an ein unbedingter Auftrag zur Klageeinreichung vor, wobei der Rechtsanwalt lediglich die Gegenseite noch außergerichtlich zur Leistung auffordern soll, um sie in Verzug zu setzen.
Rz. 58
Bei Verhandlungen mit Versicherern spricht eine Vermutung dafür, dass der Anwalt zunächst mit einer außergerichtlichen Regelung beauftragt war und die Prozessvollmacht nur für den Fall erteilt wurde, dass die außergerichtliche Regelung scheitert. Einen allgemeinen Rechtssatz, wonach ein Anwalt im Zweifel einen gerichtlichen bzw. außergerichtlichen Auftrag erhalten hat, wird man darüber hinaus jedoch kaum aufstellen können, da immer die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind.
Rz. 59
Beispiel
Anwalt A wird beauftragt, den Schaden aus einem Verkehrsunfall in Höhe von 10.000 EUR einzuklagen, soll jedoch zuvor den gegnerischen Versicherer letztmalig zur Zahlung auffordern. Auf das entsprechende Schreiben des A zahlt der Versicherer freiwillig.
Hier ist bereits Prozessauftrag erteilt worden, so dass sich die Vergütung des Anwalts wie folgt berechnet:
1. 0,8-Verfahrensgebühr, VV 3101 |
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491,20 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
511,20 EUR |
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3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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97,13 EUR |
Gesamt |
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608,33 EUR |
Rz. 60
Gleiches gilt, wenn sich der Anspruch gegen einen erfahrungsgemäß vergleichsunwilligen Versicherer richtet und der Anwalt daher sofort Klageauftrag erhält. Wendet sich der Anwalt trotzdem noch außergerichtlich an den Versicherer – z.B. um die kostenrechtlichen Folgen des § 93 ZPO auszuschließen – so bleibt es auch dann bei den Gebühren nach Nrn. 3100, 3101 VV RVG, wenn der Versicherer dem außergerichtlichen Regulierungsvorschlag zustimmt.
Rz. 61
Beispiel
A wird beauftragt, die Schadensersatzforderung von 10.000 EUR außergerichtlich geltend zu machen und hat lediglich für den Fall des Scheiterns einen Prozessauftrag. Der Versicherer zahlt auf das entsprechende Schreiben freiwillig.
Hier berechnen sich die Gebühren des Anwalts bei einer insgesamt durchschnittlichen Angelegenheit wie folgt:
1. 1,3-Geschäftsgebühr, VV 2300 |
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798,20 EUR |
2. Auslagenpauschale, VV 7002 |
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20,00 EUR |
Zwischensumme |
818,20 EUR |
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3. Umsatzsteuer, VV 7008 |
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155,46 EUR |
Gesamt |
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973,66 EUR |
Rz. 62
Es ist also möglich, dass bei einer zunächst außergerichtlichen Tätigkeit des Rechtsanwalts vor Annahme eines Prozessauftrags die gesamten Gebühren höher sind als bei der sofortigen Annahme eines Prozessauftrags. Die vom Mandanten erteilte Vollmacht ist zwar bei der Auslegung des Auftrags lediglich ein Indiz. Denn sie betrifft nur das Außenverhältnis und bildet nicht zwingend den genauen Inhalt des Auftrags ab, zumal sie in der Praxis oft als sehr umfassende Formularvollmacht erteilt wird. Daher können auch dann ein unbedingter Auftrag zur Vertretung und ein bedingter Klageauftrag vorliegen, wenn dem Rechtsanwalt bereits eine unterschriebene Prozessvollmacht vorliegt. Andererseits spricht es für die Erteilung zweier Aufträge, wenn der Mandant zwei getrennte Vollmachten sowohl für die außergerichtliche als auch für die gerichtliche Beitreibung des Anspruchs unterschreibt.
Rz. 63
Hinweis
Der Anwalt sollte sich den Prozessauftrag nach Möglichkeit aufschiebend bedingt – die Bedingung ist das erfolglose Gespräch bzw. die erfolglose Korrespondenz mit dem Gegner – erteilen lassen. Darüber hinaus sollten für die außergerichtliche Geltendmachung des Anspruchs und für das Klageverfahren gesonderte Vollmachten ausgestellt werden.
Rz. 64
Da anhand der Umstände des Einzelfalls unterschieden werden muss, ob der Anwalt bereits einen Klageauftrag oder lediglich einen Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung hatte, sollten Äußerungen gegenüber dem Gegner oder der eigenen Rechtsschutzversicherung unterbleiben, dass ein Prozessauftrag bereits erteilt sei. Es entspricht einer weit verbreiteten Unsitte, im außergerichtlichen Aufforderungsschreiben auf einen bereits bestehenden (unbedingten) Klageauftrag ("Wir haben bereits Klageauftrag") hinzuweisen in der Annahme, dem durchzusetzenden Begehren dadurch mehr Nachdruck verleihen zu können. Der Schadensersatzpflichtige – insbesondere wenn es sich um einen Versicherer handelt – wird ihn berechtigter Weise an seiner Aussage festhalten, der Anwalt büßt dadurch nicht unerhebliche Gebühren ein. Besser ist es, z.B. wie folgt zu formulieren: "Sollte eine Regulierung nicht bis zum … erfolgt sein, sind wir beauftragt, ohne weitere Mittei...