Rz. 39

Der Anwalt muss sich, bevor er sich an die Gebührentatbestände begibt, zunächst einmal darüber klar werden, hinsichtlich welcher Gegenstände er in der betreffenden Angelegenheit tätig geworden ist. Bereits hier werden häufig Fehler gemacht, indem einzelne Gegenstände übersehen werden, mit denen der Anwalt befasst war.

 

Rz. 40

Der Anwalt sollte daher stets sorgfältig prüfen, hinsichtlich welcher Gegenstände er im Verlaufe der Angelegenheit beauftragt war, unabhängig davon, ob der Auftrag dann auch durchgeführt worden ist. So wird häufig übersehen, dass die Gegenstände vorzeitig erledigter Aufträge hinzuzurechnen sind. Wechselnde Gegenstände werden übersehen oder auch Gegenstände, für die lediglich ein Protokollierungsauftrag vorlag (z.B. Nr. 3101 Nr. 2, 1. Alt. VV) oder die auftragsgemäß in Einigungsverhandlungen einbezogen worden sind, ohne dass es zu einer Einigung gekommen ist (z.B. Nr. 3101 Nr. 2, 2. Alt. VV).

 

Beispiel 14: Wertberechnung bei teilweiser vorzeitiger Erledigung

Der Anwalt erhält den Auftrag, eine Forderung in Höhe von 9.500,00 EUR einzuklagen. Vor Klageeinreichung zahlt der Gegner 1.500,00 EUR. Es werden nur 8.000,00 EUR eingeklagt.

Der Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit beläuft sich auf 9.500,00 EUR. Auch wenn das Verfahren nicht mit diesem Wert zu Ende geführt worden ist, so muss dieser Wert doch zumindest bei der/den Verfahrensgebühr(en) seinen Niederschlag finden (vgl. Vorbem. 3 Abs. 2 VV).

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   652,60 EUR
  (Wert: 8.000,00 EUR)    
2. 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 1 VV   101,60 EUR
  (Wert: 1.500,00 EUR)    

Zur Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG siehe unten Rdn 64 ff.

 

Rz. 41

 

Beispiel 15: Wechselnde Gegenstände

Der Anwalt klagt auftragsgemäß rückständige Mieten für die Monate Oktober, November und Dezember 2021 (jeweils 500,00 EUR) ein. Während des Rechtsstreits stellt der Kläger fest, dass die Mieten für Oktober und November bereits gezahlt waren. Insoweit nimmt der Anwalt auftragsgemäß die Klage zurück. Zwischenzeitlich sind jedoch die Mieten für Januar und Februar 2022 rückständig geworden, sodass insoweit die Klage wieder erhöht wird.

Obwohl nie mehr als drei Mieten zugleich eingeklagt waren, ist der Anwalt doch hinsichtlich fünf verschiedener Mietbeträge (Oktober, November, Dezember 2021, Januar und Februar 2022) tätig geworden, sodass fünf Mieten Gegenstand des Verfahrens waren. Daher beläuft sich der Gegenstandswert des Verfahrens nicht auf 1.500,00 EUR (dies gilt nur für den Zuständigkeitsstreitwert), sondern auf die Summe sämtlicher im Verfahren jemals anhängiger Mieten, also auf 5 x 500,00 EUR = 2.500,00 EUR (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG).[15]

 

Rz. 42

 

Beispiel 16: Erörtern nicht anhängiger Ansprüche

Der Anwalt erhebt auftragsgemäß Klage wegen einer Forderung in Höhe von 30.000,00 EUR. Im Termin zur mündlichen Verhandlung wird auch über weitere nicht anhängige 5.000,00 EUR erörtert. Eine Einigung kommt jedoch nicht zustande.

Der Anwalt ist insgesamt wegen Gegenständen in Höhe von 35.000,00 EUR tätig geworden. Dieser Wert muss sich bei der Verfahrensgebühr niederschlagen, auch wenn nicht insgesamt eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV, sondern aus dem Mehrwert von 5.000,00 EUR nur eine 0,8-Verfahrensgebühr (Nr. 3101 Nr. 2, 1. Alt. VV) anfällt.

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   1.241,50 EUR
  (Wert: 30.000,00 EUR)    
2. 0,8-Verfahrensgebühr, Nr. 3101 Nr. 2 VV   267,20 EUR
  (Wert: 5.000,00 EUR)    

Zur Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG siehe unten Rdn 64 ff.

[15] OLG Koblenz AGS 2007, 151 = WuM 2006, 45; OLG Hamm AGS 2007, 516 = NJW-Spezial 2007, 493; OLG Schleswig JurBüro 2022, 86 = FamRZ 2022, 722; OLG Dresden JurBüro 2021, 637; OLG Rostock AGS 2020, 408; OLG Celle AGS 2015, 453 = NJW-Spezial 2015, 605.

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