Julian Backes, Sven Eichler
Rz. 1291
Das OLG Celle hält in seinem Beschl. v. 25.10.2004 für die Messung mit einem nicht geeichten Tachometer grds. einen Sicherheitsabschlag von 20 % zum Ausgleich sämtlicher Fehlerquellen für ausreichend und erforderlich. Dieser Fehlergrenze liegen die zuvor gemachten Fehlerbetrachtungen zugrunde, wobei der Beschluss auch die Anforderungen berücksichtigt, die die Rechtsprechung in anderen Entscheidungen festgelegt hat. Dabei verweist das OLG Celle auch darauf, dass die Darlegungen zur Ermittlung der vorwerfbaren Geschwindigkeit den Anforderungen des § 261 StPO genügen muss.
Rz. 1292
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Der Toleranzabzug von 20 % ist unter Erfüllung folgender Anforderungen ausreichend: |
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Checkliste: Anforderungen an den Toleranzabzug i.H.v. 20 % |
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Es herrschen gute Sichtverhältnisse. |
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Es besteht ein geringer Abstand zwischen vorausfahrendem Pkw- und Messfahrzeug. |
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Der Abstand ist ungefähr gleichbleibend. |
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Die Nachfahrstrecke ist ausreichend lang. |
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Die Ablesung des Tachometers erfolgt in kurzen Abständen. |
Da die Feststellungen des Messpersonals als einmaliges kurzes Ereignis erlebt werden, empfiehlt sich zur Dokumentation die sofortige Fertigung eines Messprotokolls, welches diese Anforderungen beschreibt.
Rz. 1293
Das OLG Köln hat in seiner bisherigen Rechtsprechung eine Zweiteilung der möglichen Fehlerquellen vorgenommen und hierzu vom Skalenendwert des Tachometers einen Abzug von 7 % und einen weiteren Abzug von 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit vorgenommen. Hintergrund des ersten Abzugs war die vormals abweichende Fassung des § 57 Abs. 1 StVZO (vgl. Rdn 1268). Der zweite Abzug von 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit diente dann dem Ausgleich weiterer Fehlerquellen, wie Ablesefehlern sowie solchen Fehlern, die aus Abstandsveränderungen und/oder der Beschaffenheit des Fahrzeugs resultierten.
In seinem Beschl. v. 3.12.2021 nimmt das OLG Köln nunmehr ebenfalls Bezug auf die Richtlinie 75/443 EWG vom 26.6.1975, vermag sich jedoch nicht der Rechtsprechung anderer OLG anzuschließen, in jedem Fall eine Pauschale von 20 % anzuwenden. Hierzu wird im entsprechenden Beschluss – unter Verweis auf die 5. Auflage dieses Werkes – ausgeführt:
Zitat
"Es handelt sich um einen "gegriffenen" Wert […], den der Senat in seiner bisherigen Rechtsprechung wegen der Vielzahl der – im Einzelfall sich in ihrer Wirkung möglicherweise kumulierenden – Fehlerquellen als regelmäßig zu gering bemessen bezeichnet hat […]. Vielmehr erscheint die auch bislang vorgenommene Differenzierung zwischen (möglichen) Eigenfehlern des Tachometers einerseits, sonstigen Fehlern (namentlich Ablesefehlern und Fehlern durch Abstandsveränderungen) andererseits weiterhin als fruchtbar. Lediglich ist der mögliche Eigenfehler des Tachometers anders als bislang zu berechnen, nämlich mit 10 % der abgelesenen Geschwindigkeit zuzüglich 4 km/h (so auch OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.12.2004 – 4 Ss 490/04 = VRS 108, 223 = JZ 2005, 283; H. P. Grün/Eichler/D. Schäfer in: Burhoff/Grün (Hrsg.): Messungen im Straßenverkehr, 5. Aufl. 2020, § 1 Rn 1209: diese Größenordnung sei als technischer Fehler "immer zu unterstellen"). Es ist nämlich unverändert davon auszugehen, dass Tachometer diese Fehlergrenze einhalten. Der Senat verkennt nicht, dass die Alltagserfahrung regelmäßig eine höhere als die zulässige Übereinstimmung von tatsächlich gefahrener und abgelesener Geschwindigkeit nahe legt. Empirische Untersuchungen, die geeignet wären, die Richtigkeit einer solchen Annahme belastbar zu belegen, sind ihm indessen nicht bekannt geworden."
[…].
cc) Im Übrigen hält der Senat an seiner Rechtsprechung fest, wonach den möglichen weiteren Fehlerquellen durch einen weiteren Abzug von bis zu 12 % der abgelesenen Geschwindigkeit begegnet werden kann, der im Einzelfall – nämlich dann, wenn Ablesefehler und Fehler durch Abstandsschwankungen ausgeschlossen werden können – auf 6 % reduziert werden kann.“
Das OLG Köln legt somit eine Spannbreite an Toleranzbetrachtung fest, die sich an der Nachvollziehbarkeit des Messvorgangs orientiert.
Im konkreten Fall wurde eine Geschwindigkeit von 105 km/h als abgelesen angenommen – die Korrektheit dieser Angabe und der Grund für den Verzicht auf ein Abrunden auf 100 km/h sind mit den vorliegenden Informationen nicht nachvollziehbar – was mit Blick auf die o.g. Richtlinie zu einem ersten Abzug von 14,5 km/h, mithin 15 km/h, führt.
Nach weiterem Abzug des nicht-technischen Fehlerpotenzials von 12 % bzw. 6 % verbleibt dann eine vorwerfbare Geschwindigkeit von 84 km/h bzw. 77 km/h.
Eine solche "von – bis" – Betrachtung ist aus technischer Sicht nicht zu beanstanden und berücksichtigt die mit diesem Messverfahren zwangsweise einhergehenden Unsicherheiten, wobei im Zweifel immer der günstigere Wert zu wählen ist.