Rz. 34
Die Erwägungen des Berufungsgerichts hielten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes konnte auf der Grundlage des für die revisionsrechtliche Prüfung maßgeblichen Sachverhalts nicht verneint werden. Die Revision wandte sich mit Erfolg gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, § 7 Abs. 1, § 11 S. 1 StVG infolge des Unfalls nicht davongetragen.
Rz. 35
Das Berufungsgericht war allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass durch ein Unfallgeschehen ausgelöste, traumatisch bedingte psychische Störungen von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB darstellen können. Der Senat hat wiederholt ausgesprochen, dass die Schadensersatzpflicht für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung nicht voraussetzt, dass sie eine organische Ursache haben; es genügt vielmehr grundsätzlich die hinreichende Gewissheit, dass die psychisch bedingte Gesundheitsschädigung ohne die Verletzungshandlung nicht aufgetreten wäre.
Rz. 36
Im Ausgangspunkt zu Recht hatte das Berufungsgericht auch angenommen, dass dieser Grundsatz nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats im Bereich der sogenannten Schockschäden eine gewisse Einschränkung erfährt. Danach begründen seelische Erschütterungen wie Trauer und seelischer Schmerz, denen Hinterbliebene beim (Unfall)Tod eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, auch dann nicht ohne Weiteres eine Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB, wenn sie von Störungen der physiologischen Abläufe begleitet werden und für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sind. Der Senat hat dies damit begründet, dass die Anerkennung solcher Beeinträchtigungen als Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB der Absicht des Gesetzgebers widerspräche, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken und Beeinträchtigungen, die auf die Rechtsgutverletzung eines anderen bei Dritten zurückzuführen sind, soweit diese nicht selbst in ihren eigenen Schutzgütern betroffen sind, mit Ausnahme der §§ 844, 845 BGB ersatzlos zu lassen. Psychische Beeinträchtigungen infolge des Todes naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, können vielmehr nur dann als Gesundheitsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung vom tödlichen Unfall eines Angehörigen erfahrungsgemäß ausgesetzt sind.
Rz. 37
Die Revision rügte aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht die Anforderungen an die Annahme einer Gesundheitsverletzung i.d.S. überspannt und nicht berücksichtigt hatte, dass der Kläger den Unfalltod seiner Ehefrau unmittelbar miterlebt hat und durch das grob verkehrswidrige Verhalten des W. selbst gefährdet war.
Rz. 38
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte Dr. F. beim Kläger eine akute Belastungsreaktion nach ICD F43.9 G festgestellt. Bei der ICD handelt es sich um die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems). Sie wird von der Weltgesundheitsorganisation herausgegeben (vgl. http://apps.who.int/classifications/icd/en/, abgerufen am 13.1.2015). Im Kapitel V (F00-F99) der ICD werden psychische und Verhaltensstörungen beschrieben. Die Untergruppe F40-F48 befasst sich dabei mit neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen. Gegenstand des Unterabschnitts F43 sind Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen, die als direkte Folge einer akuten schweren Belastung oder eines kontinuierlichen Traumas entstehen, erfolgreiche Bewältigungsstrategien behindern und aus diesem Grunde zu Problemen der sozialen Funktionsfähigkeit führen (vgl. https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/index.htm, abgerufen am 13.1.2015). Wie das Berufungsgericht weiter festgestellt hat, sah sich der Kläger infolge der Eindrücke aus dem Unfallgeschehen veranlasst, aus der in seinem Eigentum stehenden ehelichen Wohnung auszuziehen und seinen Beruf als Lkw-Fahrer aufzugeben. Nach dem mangels gegenteiliger Feststellungen revisionsrechtlich zugrunde zu legenden Sachvortrag des Klägers hatte ihm sein Arzt zu dem Wohnungswechsel geraten, um die Bedingungen der psychischen Verarbeitung des Unfallereignisses zu verbessern. Der Kläger musste seinen Beruf aufgeben, weil er unter fortdauernden Angstzuständen, Schweißausbrüchen und Zittern im Straßenverkehr leidet und deshalb nicht mehr in der Lage ist, ein Fahrzeug zu führen. Auch auf das Motorradfahren muss der Kläger verzichten. Diese Beeinträchtigungen gehen aber deutlich über die gesundheitlichen Auswirkungen hinaus, denen...