Rz. 65
a) Der Fall
Rz. 66
Die Klägerin wurde am 29.9.2005 von Nachbarn herbeigerufen, nachdem ihr fast 4-jähriger Sohn beim Spielen auf die Straße gelaufen und dort von dem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw des Beklagten zu 1 erfasst worden war. Sie fand ihren Sohn mit einer erheblich dislozierten Oberschenkelfraktur, einer Commotio cerebri und einer Platzwunde am Hinterkopf vor und machte geltend, als Reaktion hierauf habe sich bei ihr ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelt, das sich in Magersucht, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule äußere und es ihr unmöglich mache, weiterhin den Haushalt zu führen. Die Klägerin begehrte Ersatz materiellen und immateriellen Schadens.
Rz. 67
Das LG hat die Klage sachverständig beraten abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG weiteren Beweis erhoben. Es hat der Klage teilweise stattgegeben und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgte die Klägerin ihr Begehren – mit Abstrichen zur Höhe des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens – weiter. Die Beklagten erstrebten mit der Anschlussrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 68
Das Urteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
aa) Revision der Klägerin
Rz. 69
Ohne Erfolg wandte sich die Revision allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes allein die durch den Unfall verursachte Magersucht – und diese nur bis Ende 2007 – berücksichtigt hatte und nicht auch die übrigen von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen, weil diese nicht über das hinausgingen, was Nahestehende von Unfallopfern in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erlitten, und deshalb unter dem Aspekt eines "Schockschadens" nicht ersatzfähig seien.
Rz. 70
Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält, insbesondere ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat.
Rz. 71
Für die Revision war zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass bei ihr, wie vom Berufungsgericht festgestellt, aufgrund des Erlebnisses der Unfallverletzungen ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten war, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt hat. Auf dieser Grundlage ließ das Berufungsurteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin erkennen. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Diese Gesichtspunkte hatte das Berufungsgericht beachtet und hinreichend gewürdigt.
Rz. 72
Entgegen der Auffassung der Revision waren bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen psychischer Folgen solche Umstände, die für sich allein genommen nicht die Tatbestandsmerkmale des Schadensersatzanspruchs erfüllen, nicht zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats können psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz beim Tod oder bei schweren Verletzungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, nur dann als Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung von dem Unfall eines nahen Angehörigen oder dem Miterleben eines solchen Unfalls erfahrungsgemäß ausgesetzt sind. Ist das nicht der Fall, fehlt es mithin insoweit an einem ersatzfähigen Schaden. Dieser wird nicht dadurch ersatzfähig, dass neben den grundsätzlich nicht zum Schadensersatz führenden Beeinträchtigungen auch eine unfallursächliche ersatzfähige Beeinträchtigung besteht. Insoweit geht es nicht um die Frage der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes, sondern um die vorgelagerte Frage der Ersatzfähigkeit eines eingetretenen immateriellen Schadens.
Rz. 73
Die Revision rügte aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf die Zeit bis Ende 2007 begrenzt hatte.
Rz. 74
Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat der Schädiger für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung eines Unfallgeschehens einzustehen, wenn hinreichend...