Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Schädigers für psychische Beeinträchtigungen. posttraumatisches Belastungssyndrom nach Unfallverletzung des Sohnes. keine Wahrnehmung angebotener Therapiemöglichkeiten. Haushaltsführungsschaden
Leitsatz (amtlich)
Zur Haftung des Schädigers für psychische Beeinträchtigungen, wenn der Geschädigte es unterlässt, sich einer (weiteren) Behandlung zu unterziehen.
Normenkette
BGB § 253 Abs. 2, § 254 Abs. 2 S. 1, § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
OLG Köln (Urteil vom 03.12.2013; Aktenzeichen 15 U 191/09) |
LG Köln (Urteil vom 17.11.2009; Aktenzeichen 22 O 16/09) |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlussrevision der Beklagten wird das Urteil des 15. Zivilsenats des OLG Köln vom 3.12.2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszugs, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Rz. 1
Die Klägerin wurde am 29.9.2005 von Nachbarn herbeigerufen, nachdem ihr fast 4-jähriger Sohn beim Spielen auf die Straße gelaufen und dort von dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw des Beklagten zu 1) erfasst worden war. Sie fand ihren Sohn mit einer erheblich dislozierten Oberschenkelfraktur, einer Commotio cerebri und einer Platzwunde am Hinterkopf vor und macht geltend, als Reaktion hierauf habe sich bei ihr ein posttraumatisches Belastungssyndrom entwickelt, das sich in Magersucht, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule äußere und es ihr unmöglich mache, weiterhin den Haushalt zu führen. Die Klägerin begehrt Ersatz materiellen und immateriellen Schadens.
Rz. 2
Das LG hat die Klage sachverständig beraten abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das OLG weiteren Beweis erhoben. Es hat der Klage teilweise stattgegeben und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren - mit Abstrichen zur Höhe des geltend gemachten Haushaltsführungsschadens - weiter. Die Beklagten erstreben mit der Anschlussrevision die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
I.
Rz. 3
Das Berufungsgericht führt aus, die Klägerin habe zwar bewiesen, dass bei ihr aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten sei, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt habe. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei jedoch nur bis Ende 2007 gegeben, weil die Klägerin ihr angebotene Therapiemöglichkeiten nicht wahrgenommen habe, auch wenn ihr dies nicht im Sinne eines "Mitverschuldens" vorzuwerfen sei. Die Prognose, dass eine Fortführung der Therapie eine Besserung des Gesundheitszustands erbracht hätte, sei günstig gewesen, da nach einem früheren, verhältnismäßig kurzen stationären Aufenthalt eine erhebliche Verbesserung ihres Gesundheitszustands eingetreten sei und sich ein deutlicher Rückgang der PTBS-Symptomatik eingestellt habe.
II.
Rz. 4
Das Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 5
1. Revision der Klägerin
Rz. 6
a) Ohne Erfolg wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das Berufungsgericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes allein die durch den Unfall verursachte Magersucht - und diese nur bis Ende 2007 - berücksichtigt hat und nicht auch die übrigen von der Klägerin geltend gemachten Beeinträchtigungen, weil diese nicht über das hinausgingen, was Nahestehende von Unfallopfern in derartigen Fällen erfahrungsgemäß an Beeinträchtigungen erlitten, und deshalb unter dem Aspekt eines "Schockschadens" nicht ersatzfähig seien.
Rz. 7
aa) Die Bemessung des Schmerzensgeldes der Höhe nach ist grundsätzlich Sache des nach § 287 ZPO besonders frei gestellten Tatrichters. Sie ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob die Festsetzung Rechtsfehler enthält (st.Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 11.12.1973 - VI ZR 189/72, VersR 1974, 489, 490; v. 19.9.1995 - VI ZR 226/94, VersR 1996, 380), insb. ob das Gericht sich mit allen für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgeblichen Umständen ausreichend auseinandergesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (vgl. BGH, Urt. v. 12.5.1998 - VI ZR 182/97, BGHZ 138, 388, 391; v. 24.5.1988 - VI ZR 159/87, VersR 1988, 943; v. 15.1.1991 - VI ZR 163/90, VersR 1991, 350, 351; v. 12.7.2005 - VI ZR 83/04, VersR 2005, 1559, 1562 [insoweit in BGHZ 163, 351 nicht abgedruckt]; v. 17.11.2009 - VI ZR 64/08, VersR 2010, 268 Rz. 16).
Rz. 8
bb) Für die Revision ist zugunsten der Klägerin zu unterstellen, dass bei ihr, wie vom Berufungsgericht festgestellt, aufgrund des Erlebnisses der Unfallverletzungen ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten ist, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt hat. Auf dieser Grundlage lässt das Berufungsurteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Klägerin erkennen. Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers (BGH, Urt. v. 12.7.2005 - VI ZR 83/04, a.a.O.). Diese Gesichtspunkte hat das Berufungsgericht beachtet und hinreichend gewürdigt.
Rz. 9
Entgegen der Auffassung der Revision sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes wegen psychischer Folgen solche Umstände, die für sich allein genommen nicht die Tatbestandsmerkmale des Schadensersatzanspruchs erfüllen, nicht zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats können psychische Beeinträchtigungen wie Trauer und Schmerz beim Tod oder bei schweren Verletzungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, nur dann als Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen, denen Hinterbliebene bei der Benachrichtigung von dem Unfall eines nahen Angehörigen oder dem Miterleben eines solchen Unfalls erfahrungsgemäß ausgesetzt sind (vgl. BGH vom 13.1.1976 - VI ZR 58/74, VersR 1976, 539, 540; v. 31.1.1984 - VI ZR 56/82, VersR 1984, 439; v. 4.4.1989 - VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854; v. 6.2.2007 - VI ZR 55/06, VersR 2007, 803 Rz. 6, 10; v. 20.3.2012 - VI ZR 114/11, VersR 2012, 634 Rz. 8; v. 27.1.2015 - VI ZR 548/12, zVb; ablehnend: Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rz. 46; Oetker in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 249 Rz. 148, 151; Wagner in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 823 Rz. 144, jeweils m.w.N.). Ist das nicht der Fall, fehlt es mithin insoweit an einem ersatzfähigen Schaden. Dieser wird nicht dadurch ersatzfähig, dass neben den grundsätzlich nicht zum Schadensersatz führenden Beeinträchtigungen auch eine unfallursächliche ersatzfähige Beeinträchtigung besteht. Insoweit geht es nicht um die Frage der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes, sondern um die vorgelagerte Frage der Ersatzfähigkeit eines eingetretenen immateriellen Schadens.
Rz. 10
b) Die Revision rügt aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht den Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und den gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin auf die Zeit bis Ende 2007 begrenzt hat.
Rz. 11
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat der Schädiger für eine psychische Fehlverarbeitung als haftungsausfüllende Folgewirkung eines Unfallgeschehens einzustehen, wenn hinreichende Gewissheit besteht, dass die Folge ohne den Unfall nicht eingetreten wäre. Der Zurechnungszusammenhang ist nur ausnahmsweise dann zu verneinen, wenn der Geschädigte den Unfall in neurotischem Streben nach Versorgung und Sicherheit lediglich zum Anlass nimmt, um den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (vgl. nur BGH, Urt. v. 30.4.1996 - VI ZR 55/95, BGHZ 132, 341, 346; v. 11.11.1997 - VI ZR 376/96, BGHZ 137, 142, 150; v. 10.7.2012 - VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133 Rz. 8, 10). Eine Zurechnung kann auch dann ausscheiden, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (Bagatelle).
Rz. 12
bb) Wie die Revision mit Recht geltend macht, kann auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unfall und der über 2007 hinaus andauernden Erkrankung der Klägerin nicht verneint werden. Ihr Unterlassen, sich einer Behandlung zu unterziehen, kann weder mit einer Fehlverarbeitung noch mit einer Begehrensneurose gleichgesetzt werden. Das Unfallgeschehen war keine Bagatelle. Die Kausalität zwischen dem Unfallgeschehen und den Gesundheitsbeeinträchtigungen kann auch nicht wegen fehlender Adäquanz verneint werden. Eine Haftung für die Folgen ab 2008 könnte nur unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht entfallen (§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Voraussetzungen dieser Norm hat das Berufungsgericht jedoch ausdrücklich verneint.
Rz. 13
c) Die Nichtzuerkennung eines Schmerzensgeldes über das Jahr 2007 hinaus erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig.
Rz. 14
aa) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts könnte für die Bemessung des Schmerzensgeldes allerdings der Umstand Gewicht haben, dass die Klägerin die von ihr begonnene Therapie nicht fortgesetzt hat. Wegen der positiven Entwicklung des Gesundheitszustands der Klägerin nach der verhältnismäßig kurzen Vorbehandlung bewertet das Berufungsgericht die Prognose, dass eine Fortführung der Therapie eine Besserung erbracht hätte, als günstig. Es meint jedoch, der Klägerin könne wegen der unterbliebenen Fortsetzung der Therapie kein Mitverschulden angelastet werden, weil sie sich ausweislich der dokumentierten Behandlungsgeschichte um die Heilung, zumindest aber Besserung ihrer nach dem Unfall manifestierten Essstörung bemüht habe. Alles spreche zwar dafür, dass dies nicht in ausreichendem Maße geschehen sei. Dass ihr dies in dem maßgeblichen Zeitraum subjektiv vorzuwerfen und nicht etwa Ausdruck ihrer auf das Unfallereignis zurückgehenden psychischen Fehlentwicklung sei, lasse sich weder nach dem Vorbringen der insoweit darlegungspflichtigen Beklagten noch dem Sachverhalt im Übrigen feststellen.
Rz. 15
bb) Möglicherweise hat das Berufungsgericht die für die Annahme eines Mitverschuldens erforderlichen Anforderungen überspannt. Von dem Verletzten muss nämlich verlangt werden, dass er, soweit er dazu imstande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Krankheit oder Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde (RGZ 60, 147, 149; Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rz. 112). Der Umstand, dass die Klägerin sich nach den getroffenen Feststellungen mit Rücksicht auf die mit einer Behandlung verbundene Trennung von ihren Kindern nicht weiter therapieren ließ, könnte ein Mitverschulden begründen, wenn der Klägerin eine weitere Behandlung der Essstörung zumutbar gewesen wäre (vgl. BGH, Urt. v. 4.11.1986 - VI ZR 12/86, VersR 1987, 408 mit zust. Anm. Deutsch, VersR 1987, 559; v. 18.4.1989 - VI ZR 221/88, VersR 1989, 701, 702; v. 15.3.1994 - VI ZR 44/93, NJW 1994, 1592, 1593). Dazu hat das Berufungsgericht bislang keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
Rz. 16
2. Anschlussrevision der Beklagten
Rz. 17
a) Das Berufungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, bei der Klägerin sei aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) eingetreten, als dessen Folge sich eine Magersucht entwickelt habe. Dagegen wendet sich die Anschlussrevision mit Erfolg.
Rz. 18
b) Die Beweiswürdigung ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters. An dessen Feststellungen ist das Revisionsgericht nach § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Revisionsrechtlich ist lediglich zu überprüfen, ob sich der Tatrichter mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.2011 - VI ZR 309/10, VersR 2012, 454 Rz. 13; v. 10.7.2012 - VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 Rz. 28; v. 11.12.2012 - VI ZR 314/10, VersR 2013, 321 Rz. 16; vom 20.5.2014 - VI ZR 187/13, VersR 2014, 1130 Rz. 28; v. 30.9.2014 - VI ZR 443/13, VersR 2015, 196 Rz. 11). Die vom Berufungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung erweist sich als unvollständig.
Rz. 19
c) Die Klägerin begehrt Schadensersatz wegen eines Gesundheitsschadens, der nach ihrem Vorbringen mittelbar als (psychische) Folge des Verkehrsunfalls ihres Sohnes eingetreten ist. Ein solcher Schadensersatzanspruch aus §§ 7 Abs. 1, 11 Satz 2 StVG, §§ 823 Abs. 1, 843 Abs. 1, 253 BGB i.V.m. § 3 Nr. 1 PflVG in der hier anzuwendenden bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung wäre zwar ein eigener Schadensersatzanspruch wegen der Verletzung eines eigenen Rechtsguts (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1971 - VI ZR 78/70, BGHZ 56, 163, 168; v. 20.3.2012 - VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rz. 8; v. 13.1.1976 - VI ZR 58/74, VersR 1976, 539, 540; v. 6.2.2007 - VI ZR 55/06, VersR 2007, 803 Rz. 10). Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats genügt jedoch nicht jede psychisch vermittelte Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit, um einen Schadensersatzanspruch eines dadurch nur "mittelbar" Geschädigten im Falle der Tötung oder schweren Verletzung eines Dritten auszulösen. Dies widerspräche der Intention des Gesetzgebers, die Deliktshaftung gerade in § 823 Abs. 1 BGB sowohl nach den Schutzgütern als auch den durch sie gesetzten Verhaltenspflichten auf klar umrissene Tatbestände zu beschränken (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1971 - VI ZR 78/70, a.a.O.; v. 20.3.2012 - VI ZR 114/11, BGHZ 193, 34 Rz. 8; v. 4.4.1989 - VI ZR 97/88, VersR 1989, 853, 854; v. 27.1.2015 - VI ZR 548/12, zVb). Deshalb können psychische Beeinträchtigungen naher Angehöriger, mögen sie auch für die körperliche Befindlichkeit medizinisch relevant sein, wie oben dargelegt nur dann als Gesundheitsbeschädigung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB angesehen werden, wenn sie pathologisch fassbar sind. Dabei hat der erkennende Senat stets dem Umstand Bedeutung beigemessen, ob die von dem Dritten geltend gemachten psychischen Beeinträchtigungen auf seine direkte Beteiligung an einem Unfall oder das Miterleben eines Unfalls zurückgeführt werden oder ob sie durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst worden sein sollen (vgl. BGH, Urt. v. 11.5.1971 - VI ZR 78/70, a.a.O., S. 167; v. 22.5.2007 - VI ZR 17/06, BGHZ 172, 263 Rz. 13 f.; v. 12.11.1985 - VI ZR 103/84, VersR 1986, 448; v. 27.1.2015 - VI ZR 548/12, zVb).
Rz. 20
d) Die Anschlussrevision rügt mit Erfolg, dass sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen lässt, ob das Berufungsgericht bei seiner Annahme, bei der Klägerin sei aus dem Erlebnis der Unfallverletzung ihres Sohnes ein posttraumatisches Belastungssyndrom eingetreten, berücksichtigt hat, dass die Klägerin an dem Unfall weder direkt beteiligt war noch ihn unmittelbar miterlebt hat. Wie die Anschlussrevision mit Recht geltend macht, lässt sich auch den Darlegungen des Sachverständigen Dr. W. nicht entnehmen, ob dieser bei seiner Beurteilung dem von der Klägerin für die psychische Beeinträchtigung verantwortlich gemachten auslösenden Ereignis hinreichend Rechnung getragen hat. Der Sachverständige begründet die nach seiner Bewertung gegebene Ursächlichkeit des Erlebens der Unfallverletzung für die eingetretene posttraumatische Belastungsstörung im Wesentlichen mit dem zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Unfallgeschehen und dem Auftreten der Magersucht. Die Anschlussrevision weist jedoch zutreffend daraufhin, dass nach anerkannter medizinischer Definition ein posttraumatisches Belastungssyndrom (ICD10: F43.1) durch ein schwerwiegendes traumatisches Erleben ausgelöst wird. Es handelt sich um eine verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation kürzerer oder längerer Dauer mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, die bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde (Dilling/Mombour/Schmidt, Internationale Klassifikation psychischer Störungen, 9. Aufl., S. 207; vgl. BGH vom 10.7.2012 - VI ZR 127/11, VersR 2012, 1133 Rz. 33). Ob sich das von der Klägerin erlebte Geschehen als ein derart schwerwiegendes traumatisches Erleben darstellt, lassen die Darlegungen des Sachverständigen Dr. W. nicht erkennen.
Rz. 21
3. Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben. Die Sache ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird bei erneuter Befassung Gelegenheit haben, auch das weitere Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen.
Fundstellen
Haufe-Index 7690204 |
NJW 2015, 2246 |
ZAP 2015, 403 |
DAR 2015, 261 |
DAR 2015, 302 |
JZ 2015, 251 |
MDR 2015, 510 |
NZV 2015, 281 |
NZV 2015, 4 |
VRS 2015, 229 |
VersR 2015, 590 |
ZfS 2015, 435 |
NJW-Spezial 2015, 202 |
VRA 2015, 92 |
VRR 2015, 7 |
r+s 2015, 260 |
Jura 2015, 1008 |