I. Allgemeines
Rz. 92
Im Rahmen der lebzeitigen Übertragung von Immobilienvermögen wird regelmäßig ein Vorbehaltsnießbrauch vereinbart. Dabei behält sich der bisherige Eigentümer anlässlich der (entgeltlichen oder unentgeltlichen) Übertragung des Grundstücks den Nießbrauch vor, der für ihn im Zuge der Eigentumsübertragung bestellt wird. Der Erwerber des Grundstücks erhält von vornherein somit nur die mit dem Nutzungsrecht belastete Substanz.
Rz. 93
Bei der einkommensteuerlichen Behandlung des Vorbehaltsnießbrauchs geht es um Fragen der steuerlichen Zurechnung der Einkünfte und der Vermögenssubstanz sowie des Werbungskostenabzugs und der Abschreibungsbefugnis. Ferner kann die vorzeitige Ablösung des Nießbrauchs durch den Eigentümer einkommensteuerliche Folgen haben.
II. Einkommensteuerliche Zurechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
Rz. 94
Nutzt der Übergeber das Grundstück durch Vermietung und Verpachtung als (Vorbehalts-)Nießbraucher (weiter), ist er gem. §§ 566, 567 BGB oder §§ 1030, 1059 BGB selbst Vermieter und Verpächter. Damit verwirklicht der Nießbraucher den Tatbestand der Vermietung und Verpachtung i.S.d. § 21 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG, wenn diese nicht betrieblich veranlasst ist und er die dazu erforderlichen Leistungen bewirkt, d.h. die Mieten/die Pacht tatsächlich vereinnahmt sowie die mit dem Nießbrauch belastete Immobilie tatsächlich besitzt und verwaltet. Der Nießbraucher muss z.B. in der Lage sein, den Miet- oder Pachtvertrag zu kündigen.
Hinweis
Der Nießbrauch wird steuerlich allerdings nur anerkannt, wenn er rechtswirksam entstanden ist. Für die steuerrechtliche Anerkennung eines Nießbrauchs an Grundstücken ist (allerdings) eine Grundbucheintragung nicht notwendig.
III. Werbungskosten und Absetzung für Abnutzung (AfA)
Rz. 95
Aufwendungen, die der Vorbehaltsnießbraucher nach den Bestimmungen des BGB zu tragen hat, und solche, die er im Rahmen der Nießbrauchsbestellung aufgrund einer ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung übernommen und tatsächlich getragen hat, kann er bei vermieteten Grundstücken grundsätzlich nach § 9 Abs. 1 S. 1 EStG als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehen.
Rz. 96
Das Einkommensteuerrecht gewährt die Vornahme der Absetzung für Abnutzung nach § 7 EStG bei der Nutzung eines Wirtschaftsgutes grundsätzlich nur demjenigen, der die Herstellungs- und Anschaffungskosten getragen hat. Beim Vorbehaltsnießbrauch steht dem bisherigen Eigentümer und (jetzigen) Nießbraucher die Berechtigung zur Abschreibung für Abnutzung weiterhin zu. Denn der Vorbehaltsnießbraucher und nicht der neue Eigentümer hat die Anschaffungs- und Herstellungskosten für das Wirtschaftsgut aufgewendet und nutzt das Gebäude weiterhin zur Erzielung von Einkünften. Dies gilt entsprechend nicht für den Zuwendungsnießbraucher.
Rz. 97
Fällt der (unentgeltliche) Vorbehaltsnießbrauch durch Tod oder lebzeitigen Verzicht des Nießbrauchers weg, geht ertragsteuerlich das gesamte Grundstück unentgeltlich auf den übernehmenden Eigentümer über. Die Absetzung für Abnutzung bemisst sich dann beim Eigentümer gem. § 11d Abs. 1 EStDV nach den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Rechtsvorgängers (also des Nießbrauchers), der mithin dessen Abschreibung fortführt.
Während des Bestehens des Nießbrauchs kann der Eigentümer Aufwendungen für sein Grundstück nicht als vorweggenommenen Werbungskosten bei der Vermietung und Verpachtung abziehen, solange ein Ende der Nutzung durch den Nießbraucher nicht absehbar ist.
IV. Finanzierungszinsen beim Vorbehaltsnießbrauch
Rz. 98
Finanzierungszinsen für Darlehen zur Anschaffung oder Herstellung einer mit dem Nießbrauch belasteten Immobilie kann der Vorbehaltsnießbraucher weiterhin im Rahmen seiner Einkünfte absetzen, wenn die Verbindlichkeiten (daher sinnvollerweise) nicht vom Erwerber bzw. neuen Eigentümer übernommen wurden. Tilgungsleistungen sollten dem Vorbehaltsnießbraucher im Rahmen des Überlassungsvertrags entsprechend auferlegt werden. Die Verbindlichkeiten stellen mangels Schuldübernahme dann keine schenkungsteuerlichen Abzugsposten beim Erwerber/Eigentümer dar.
Rz. 99
In der Regel wird bei vermieteten Übergabeobjekten die Übernahme von objektbezogenen Grundpfandverbindlichkeiten durch den Erwerber aufschiebend bedingt zum Zeitpunkt des Erlöschens des Nießbrauchs vereinbart. Für diesen ist die Übernahme der Verbindlichkeiten schenkungsteuerlich zunächst unbeachtlich und wird gem. § 6 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG erst mit Bedingungseintritt (in Höhe der dann bestehenden Valuta) berücksichtigt.
V. Kosten- und Lastentragung
Rz. 100
Einkommensteuerlich ist bei vermietetem Grundbesitz die über das Gesetz hinausgehende Belastung des Vorbehaltsnießbrauchers geboten (sog. Nettonießbrauch), um den Nießbraucher die volle Anerkennung der Lasten als Werbungskosten zu ermöglichen. Trägt er diese nämlich, ohne hierzu verpflichtet zu sein, kommt es zu einen steuerschädlichen "Werbungskostenleerlauf". ...