A. Motive der vorweggenommenen Erbfolge
Rz. 1
In der erbrechtlichen Gestaltungspraxis im Bereich des Privatvermögens gewinnt die vorweggenommene Erbfolge – gemeint ist hier die lebzeitige Übertragung eines wesentlichen Vermögensbestandteils, insbesondere von Immobilienvermögen, auf Abkömmlinge – zunehmend an Bedeutung. Bereits im Jahr 2003 standen nach einer empirischen Datenerhebung Bengels unter (Anwalts-)Notaren erbschaftsteuerliche Motive mit 54,78 % an erster Stelle. In Folge der zwischenzeitlichen gesetzlichen Novellierungen, in erster Linie zur steuerlichen Bewertung von Immobilienvermögen mit dem Verkehrswert seit 1.1.2009, spielen erbschaftsteuerliche Überlegungen (insbesondere in Ballungsräumen mit den dortigen Preisentwicklungen) im Rahmen der Vermögennachfolge inzwischen sicherlich die dominierende Rolle.
Rz. 2
Erbschaft- bzw. schenkungsteuerlich lassen sich durch die lebzeitige Übertragung von Immobilienvermögen vier Effekte erzielen:
1. |
Die Freibeträge können alle 10 Jahre – zuletzt im Erbfall – genutzt werden, § 14 ErbStG (siehe § 7 Rdn 1 ff.>). |
2. |
Gegenleistungen des Beschenkten und vorbehaltenen Leistungs-, Nutzungs- und Duldungsauflagen (insbesondere ein Vorbehaltsnießbrauch) sind im Rahmen der Schenkungsbesteuerung erwerbsmindernd zu berücksichtigen (siehe Rdn 3 ff.>). |
3. |
Künftige Wertzuwächse finden ab dem Zeitpunkt der Übertragung (auch bei Vorbehalt eines Nutzungsrechts) bei der nächsten Generation statt und fallen so nicht in den später erbschaftsteuerpflichtigen Nachlass. |
4. |
Aktuelle gesetzliche Privilegien können genutzt werden, wie etwa die Steuerbefreiung für zu Wohnzwecken vermietete Grundstücke i.S.d. § 13d ErbStG (siehe § 6 Rdn 58 ff.>). |
B. Gemischte Schenkung, Schenkung unter Auflage
I. Allgemeines
Rz. 3
Bei einer gemischten Schenkung oder Schenkung unter einer Auflage gilt entsprechend § 10 Abs. 1 S. 1 und 2 ErbStG als steuerpflichtiger Erwerb die Bereicherung des Beschenkten, soweit keine Steuerbefreiung greift (siehe § 6 Rdn 1 ff.>). Die Bereicherung wird ermittelt, indem von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Steuerwert (siehe § 8 Rdn 11 ff.>) der Leistung des Schenkers die Gegenleistungen des Beschenkten und die von ihm übernommenen Leistungs-, Nutzungs- und Duldungsauflagen mit ihrem nach § 12 ErbStG ermittelten Wert abgezogen werden.
II. Gegenleistungen und Auflagen
Rz. 4
Als erwerbsmindernde Gegenleistungen und Auflagen bei einer lebzeitigen Übertragung von Immobilienvermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge kommen in Betracht:
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Nutzungsauflagen (z.B. Nießbrauch), Duldungsauflagen (z.B. Wohnungsrecht) und Leistungsauflagen (z.B. Renten) (siehe Rdn 6 ff.>), |
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Wart- und Pflegeverpflichtungen (siehe Rdn 43 ff.>), |
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Kaufpreis- bzw. Abstandszahlungen, |
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Gleichstellungsgelder an Geschwister, |
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Übernahme von Verbindlichkeiten. |
Rz. 5
Durch das Erbschaftsteuerreformgesetz ist die Regelung des § 25 ErbStG, wonach der Vorbehalt des Nießbrauchs (nur) zu einer Steuerstundung führte, mit Wirkung zum 1.1.2009 entfallen. Seither kann ein vorbehaltener Nießbrauch zu einer erheblichen Minderung der Bemessungsgrundlage bei der lebzeitigen Übertragung von Immobilienvermögen führen und die Schenkungs- und langfristig die Erbschaftsbesteuerung erheblich reduzieren.
C. Nutzungs-, Duldungs- und Leistungsauflagen bei Grundstücksübertragungen im Schenkungsteuerrecht
I. Allgemeines
Rz. 6
Bei Grundstücksübertragungen unter einer Auflage sind von dem steuerlichen Wert des Grundvermögens (siehe § 8 Rdn 17 ff.>) die vom Erwerber übernommenen Nutzungsauflagen (z.B. Nießbrauch), Duldungsauflagen (z.B. Wohnungsrecht) sowie Leistungsauflagen (z.B. Renten) erwerbsmindernd abzuziehen. In der Regel führen solche Auflagen zu einer erheblichen Reduzierung der Bemessungsgrundlage für die Übertragung und damit der Erbschaft- bzw. Schenkungsbesteuerung der Vermögensnachfolge insgesamt. Praktischer Hauptanwendungsfall ist der dem Veräußerer vorbehaltene Nießbrauch.
II. Steuerliche Bewertung
1. Allgemeines
Rz. 7
Die steuerliche Bewertung von Nutzungs-, Duldungs- sowie Leistungsauflagen ermittelt sich nach den Allgemeinen Vorschriften des Bewertungsgesetzes, §§ 13 ff. BewG. Der Wert errechnet sich aus der Multiplikation von Vervielfältiger und Jahreswert der Auflage.
2. Vervielfältiger
Rz. 8
In der Regel werden Vorbehaltsnießbrauch bzw. -wohnrecht und Rentenzahlungen auf Lebenszeit des Veräußerers vereinbart. Gemäß § 14 Abs. 1 S. 2 BewG leiten sich dabei die Vervielfältiger aus der Sterbetafel des Statistischen Bundesamts ab und gelten für das ab dem 1.1. des auf die Veröffentlichung der Sterbetafel folgenden Kalenderjahres. Das Bundesministerium für Finanzen veröffentlicht die Vervielfältiger für den Kapitalwert zusammen mit dem Datum der Veröffentlichung der Sterbetafel im Bundessteuerblatt, § 14 Abs. 1 S. 4 BewG.
Rz. 9
Bei Rechten, die auf bestimmte Dauer vorbehalten werden, ergibt sich der Vervielfältiger gem. § 13 Abs. 1 S. 1 BewG aus Anlage 9a zum BewG. Bei der Vereinbarung von immerwährenden Rechten – also Rechten, deren Ende ungewiss ist (was in der Praxis wohl nur eine untergeordnete Rolle spielt) –, beträgt der Vervielfältiger gem. § 13 Abs...