Rz. 362
Dem Erblasser steht bezüglich der eigenen bindenden Verfügungen ein Selbstanfechtungsrecht nach § 2281 BGB zu. Die weit reichende Anfechtbarkeit von wechselbezüglichen Verfügungen im gemeinschaftlichen Testament bzw. Erbvertrag ist nichts anderes als eine Abschwächung von deren Bindungswirkung, die nur dadurch umgangen werden kann, dass ein ausdrücklicher Anfechtungsverzicht im gemeinschaftlichen Testament abgegeben wird (vgl. § 7 Rdn 421 ff.). Im Falle eines Anfechtungsrechts nach § 2079 BGB ist ein solcher Verzicht kraft gesetzlicher Regelung in § 2079 S. 2 BGB ohne Weiteres möglich. Festzuhalten ist aber, dass in der Rechtsgestaltung mit Anfechtungsverzichten sehr vorsichtig und verantwortungsvoll umgegangen werden muss. Denn die Erblasser sollten auf grundlegende Veränderungen noch reagieren können.
Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter kann mit Genehmigung des Betreuungsgerichts die Anfechtung erklären, § 2282 Abs. 2 BGB.
Rz. 363
Die Anfechtung ist gemäß § 143 Abs. 2 BGB stets dem Vertragspartner gegenüber zu erklären, sofern dieser noch lebt, ansonsten gegenüber dem nach § 343 FamFG zuständigen Nachlassgericht.
Rz. 364
Für den Fall, dass der Überlebende seine eigenen wechselbezüglichen Verfügungen anficht, ist der Wille des verstorbenen Ehegatten nicht zu berücksichtigen, da das Gesetz die Interessen des verstorbenen Ehegatten durch die Vorschrift des § 2271 Abs. 1 BGB hinreichend schützt. Die Selbstanfechtung hat aber zur Folge, dass die Verfügungen des Erblassers, die wechselbezüglich zu den infolge der Anfechtung nichtigen Verfügungen sind, gemäß § 2270 Abs. 1 BGB unwirksam werden.
Rz. 365
Bei lediglich teilweiser Anfechtung bleiben die Verfügungen des vorverstorbenen Ehegatten wirksam, soweit anzunehmen ist, er hätte sie auch getroffen, wenn sein Ehepartner nur die nicht angefochtenen Verfügungen getroffen hätte. Maßgebend ist hierbei nicht etwa der Wille des anderen Ehegatten, also der Empfängerhorizont wie bei der Auslegung, sondern lediglich der hypothetische Wille des Erblassers im Zeitpunkt der Errichtung der letztwilligen Verfügung. Ein Ausweg aus diesem Problem wird darin gesehen, dass der überlebende Ehegatte dem Schlusserben einen Zuwendungsverzichtsvertrag gemäß § 2352 BGB gewissermaßen "abkaufen" kann, um auf diese Weise seine Testierfreiheit wiederzuerlangen.
Rz. 366
Hinsichtlich der Anfechtungsgründe kann grundsätzlich auf das zur Anfechtung des Einzeltestaments Gesagte verwiesen werden.
Rz. 367
Für eine Selbstanfechtung wegen Motivirrtums kommen hier z.B. Störungen der Gegenleistung bei entgeltlichen Erbverträgen in Betracht. Ein Inhaltsirrtum gemäß § 2281 Abs. 1 i.V.m. § 2078 Abs. 1, § 119 Abs. 1 BGB liegt dagegen vor, wenn sich der Erblasser bei Abschluss der letztwilligen Verfügung über dessen rechtliche Tragweite, insbesondere über die bestehende Bindungswirkung, geirrt hat.
Rz. 368
Möglich ist auch, dass der Erblasser den Erbvertrag wegen Übergehung eines Pflichtteilsberechtigten selbst anficht, wobei dies auch nur in der Absicht erfolgen kann, sich von der vertragsmäßigen Bindung zu befreien, auch ohne danach den Pflichtteilsberechtigten tatsächlich zu bedenken. § 2079 BGB wird durch § 2281 Abs. 1 BGB insofern modifiziert, als der Pflichtteilsberechtigte nur den Anfechtungszeitpunkt, nicht aber den Erbfall erleben muss. (Zur Erbvertragsanfechtung vgl. § 7 Rdn 538 ff.).
Rz. 369
Ein Sonderproblem stellt der Anfechtungsgrund des Wegfalls des Rechts zur Pflichtteilsentziehung bei vertragsmäßig getroffenen Verfügungen dar. In einem solchen Fall könnte der Erblasser ein Interesse daran haben, dem Pflichtteilsberechtigten nunmehr doch noch etwas zukommen zu lassen. Insbesondere stellt sich hier die Frage, ob ein Anfechtungsrecht auch im Falle der Verzeihung gemäß § 2337 BGB in Betracht kommt. Der Gesetzgeber war dieser Ansicht nicht, da er befürchtete, die Zuerkennung eines Anfechtungsrechts für diesen Fall würde zu willkürlichen "Verzeihungen" führen, die einzig und allein den Zweck hätten, den lästigen Erbvertrag zu beseitigen und die volle Verfügungsfreiheit wiederzuerlangen. Dagegen sprechen indes Wortlaut, Sinn und Zweck des § 2337 BGB, der eindeutig bestimmt, dass eine Verfügung, durch die der Erblasser die Pflichtteilsentziehung angeordnet hat, durch Verzeihung unwirksam wird.
Rz. 370
Zu beachten ist, dass die Selbstanfechtung grundsätzlich durch den Erblasser höchstpersönlich zu erfolgen hat. Weder im Willen noch in der Erklärung ist Vertretung zulässig.
Rz. 371
Die Anfechtungserklärung bedarf gemäß § 2282 Abs. 3 BGB der notariellen Beurkundung. Die Anfechtungserklärung muss dem Anfechtungsgegner in Urschrift oder Ausfertigung zugehen. Es empfiehlt sich eine Zustellung durch den Gerichtsvollzieher, um die Vorteile der Zugangsfiktion des § 132 BGB zu erlangen, falls der Anfechtungsgegner die Annahme der Anfechtungserklärung verweigern sollte.
Rz. 372
Die Anfechtung hat gemäß § 143 Abs. 2 BGB gegenüber dem Vertragspartner...