Rz. 176
Gem. § 18 Abs. 2 Nr. 1 WEG hat jeder Wohnungseigentümer einen Anspruch darauf, dass Beschlüsse gefasst werden, die ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen. Der Anspruch kann erforderlichenfalls mit einer Beschlussersetzungsklage gem. § 44 Abs. 1 WEG gerichtlich durchgesetzt werden. Nach hier vertretener Auffassung entspricht es nicht ordnungsmäßiger Verwaltung, an einem Verwalter festzuhalten, der sich so schwere Pflichtverletzungen zuschulden kommen ließ, dass ein wichtiger Grund für seine außerordentliche Abberufung/Kündigung vorliegt. Das war jahrzehntelang auch die Auffassung der Rechtsprechung, wie beispielsweise folgendes Zitat aus einem BGH-Urteil aus 2011 zeigt: "Jeder Wohnungseigentümer kann nach § 21 Abs. 4 WEG [heute § 18 Abs. 2 WEG] die Abberufung eines untauglichen Verwalters verlangen". Das gilt aber seit dem Jahr 2012 nicht mehr (→ § 6 Rdn 36), denn: "Ein einzelner Wohnungseigentümer kann die Abberufung des Verwalters nicht schon deshalb verlangen, weil ein wichtiger Grund hierfür besteht; den Wohnungseigentümern steht insoweit ein Beurteilungsspielraum zu, der erst dann überschritten ist, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht nicht vertretbar erscheint". Es verhält es sich nicht anders als im strukturell gleichgelagerten Fall der Anfechtung einer Verwalterbestellung; auch hier ist ein Beschluss nur dann für ungültig zu erklären, wenn die Verwalterwahl objektiv nicht mehr vertretbar erscheint (→ § 10 Rdn 59). Diese Rspr. überzeugt nicht. Es ist nämlich "objektiv nicht vertretbar", an einem Verwalter festzuhalten, obwohl ein objektiv wichtiger Grund für dessen Abberufung vorliegt. Im Ergebnis wird durch diese Rspr. der Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung entwertet.
Rz. 177
Es stellt sich die Frage, welche Pflichtenverstöße nach Auffassung des BGH als so schwerwiegend anzusehen sind, dass die Ablehnung der Abberufung "nicht mehr vertretbar erscheint". "Nicht vertretbar" bedeutet insbesondere mit Blick auf den Minderheitenschutz nicht, dass unerfüllbare Anforderungen an den Abberufungsanspruch gestellt werden dürften. Unvertretbar ist es etwa, "wenn die Mehrheit aus der Sicht eines vernünftigen Dritten gegen ihre eigenen Interessen handelt, weil sie – etwa aus Bequemlichkeit – massive Pflichtverletzungen tolerieren will; auch eine Majorisierung durch einen Mehrheitseigentümer kann Anlass für eine kritische Würdigung der Beweggründe sein. Ob die Voraussetzungen für einen solchen Anspruch bestehen, hat der Tatrichter in umfassender Würdigung aller Umstände festzustellen". Manche Instanzgerichte stellten den Anspruch auf Abberufung vor (übertrieben) hohe Hürden stellen. So wurde eine Nichtabberufung trotz einer Vielzahl von Pflichtverletzungen des Verwalters als vertretbar angesehen, weil der Gemeinschaft durch die "für sich genommenen nicht schwerwiegenden" Verstöße kein Nachteil oder Schaden entstanden sei und weil nicht ersichtlich sei, "dass eine Zusammenarbeit mit dem Verwalter aufgrund dieser Verstöße schlechthin nicht mehr zumutbar" sei. In einem anderen Fall hatte ein Verwalter, der gerade erst gerichtlich rechtskräftig abberufen und von der Mehrheit erneut (gar noch "rückwirkend") wieder gewählt worden war, zum eigenen Vorteil ein Abstimmungsergebnis falsch ermittelt und ohne Beschluss mehrere große Bäume fällen lassen; das LG München I hielt die Wiederwahl dieses Verwalters trotzdem im Ergebnis für vertretbar. Dem Minderheitenschutz mehr zugetan war demgegenüber das LG Hamburg, das den Anspruch auf Abberufung eines Verwalters wegen fehlender Neutralität (er stellte sich in einer zerstrittenen Gemeinschaft bewusst in das Lager einer Eigentümergruppe) bejahte. Rechtsprechung aus der Zeit vor 2012 anzuführen erübrigt sich, weil Entscheidungen, die einen Anspruch auf Verwalterabberufung bejahten, zumeist (nur) damit begründet wurden, dass ein wichtiger Grund für die Abberufung vorlag, was heute, wie ausgeführt, nicht mehr genügt.