Dipl.-Kfm. Michael Scherer
Rz. 62
Wenn die Verteidigung des Angeklagten im Sinne des § 140 StPO oder des § 68 JGG eine notwendige ist, dann wird ihm ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Dies geschieht ohne eine Prüfung, ob der Angeklagte zahlungsfähig ist oder nicht, da der Zweck der Beiordnung im Strafprozess ein anderer ist als im Zivilprozess. Im Zivilprozess erhält die "arme" Partei einen RA zur Geltendmachung ihrer Ansprüche beigeordnet. Im Strafprozess erfolgt die Beiordnung eines Verteidigers im Interesse des geordneten Ablaufs des Verfahrens, der Wahrheitsfindung und der Herbeiführung eines gerechten Urteils. Deshalb ist es sogar möglich, dass dem Angeklagten gegen seinen Willen ein Pflichtverteidiger bestellt wird.
Rz. 63
Zwischen dem Pflichtverteidiger und dem Beschuldigten gibt es also keinen bürgerlich-rechtlichen Vertrag, aus dem der Verteidiger einen vertraglichen Vergütungsanspruch ableiten könnte. Andererseits wäre es unbillig, wenn der Pflichtverteidiger für seine Tätigkeit nur die niedrigeren Pflichtverteidigergebühren (rechte Randspalte des VV) bekäme, obwohl der Beschuldigte durchaus finanziell in der Lage sein könnte, die meist höheren Gebühren eines Wahlverteidigers zu bezahlen, da die Prüfung seiner Zahlungsfähigkeit für die Beiordnung eben keine Rolle spielte.
Aus dem vorgenannten Grunde schafft § 52 RVG eine gesetzliche Verpflichtung für den Beschuldigten, seinem Pflichtverteidiger eine Vergütung bis zur Höhe der Vergütung eines Wahlverteidigers bezahlen zu müssen, wenn er zur Zahlung in der Lage ist. Als Höchstgrenze gilt: Der Pflichtverteidiger kann also von seinem zahlungsfähigen Mandanten eine Vergütung verlangen, wie er sie auch als Wahlverteidiger hätte bekommen können, d. h., innerhalb der Gebührenrahmen der linken Randspalte des Vergütungsverzeichnisses unter Beachtung der Grundsätze des § 14 RVG, häufig also die so genannte Mittelgebühr. Selbstverständlich muss die von der Staatskasse bereits gezahlte Vergütung hierbei in Abzug gebracht werden (§ 52 Abs. 1 S. 2 RVG).
Die Auslagen werden im Normalfall von der Staatskasse erstattet. In Höhe der Differenz zwischen den Wahl- und den Pflichtverteidigergebühren kann der RA auch die darauf entfallende Umsatzsteuer (USt.) von dem Mandanten fordern.
Rz. 64
Allerdings darf der Pflichtverteidiger keinen Vorschuss vom Beschuldigten verlangen (§ 52 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 RVG). Insbesondere darf er seine Tätigkeit nicht von irgendwelchen Zahlungen abhängig machen, da er vom Gericht beigeordnet wurde. Freiwillige Zahlungen des Beschuldigten darf er dagegen annehmen, wobei er aus standesrechtlichen Gründen den Beschuldigten nicht z. B. durch irgendwelche Versprechungen oder, indem er ihn kurz vor der Hauptverhandlung unter Druck setzt, zu Vorschusszahlungen "überreden" darf.
Rz. 65
Das Verfahren zur gerichtlichen Feststellung, ob der Beschuldigte Gebühren in Höhe der Wahlverteidigergebühren zahlen muss, verläuft wie folgt: Der Pflichtverteidiger muss einen Antrag auf Feststellung der Zahlungsfähigkeit bei dem Gericht des ersten Rechtszuges stellen. Der Antrag richtet sich darauf,
Zitat
"…festzustellen, dass der Beschuldigte in der Lage ist, die Gebühren in Höhe der einem Wahlverteidiger zustehenden Gebühren zu zahlen."
Da es zunächst nur um die Klärung geht, ob und in welcher Höhe der Beschuldigte überhaupt zahlen kann, braucht der Antrag nicht den Betrag zu enthalten, den der Pflichtverteidiger vom Beschuldigten fordern will. Dagegen sollte der RA die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beschuldigten darlegen als Begründung, wegen welcher Tatsachen er den Beschuldigten für zahlungsfähig hält. Das Gericht muss dann feststellen, ob der Beschuldigte ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung in der Lage ist (§ 52 Abs. 2 RVG).
Der Beschuldigte ist vom Gericht zu dem Antrag zu hören und kann seine Mittellosigkeit darstellen. Dazu setzt ihm das Gericht eine Frist nach § 52 Abs. 3 RVG. Lässt der Beschuldigte die Frist ohne eine Erklärung verstreichen, so vermutet das Gericht, dass er leistungsfähig ist. Das Gericht entscheidet durch Feststellungsbeschluss über die Zahlungsfähigkeit des Beschuldigten, indem es feststellt, ob und bis zu welcher Höhe der Beschuldigte leistungsfähig ist; es kann auch Ratenzahlungen festlegen. Der Beschluss ist keine Verurteilung zur Zahlung einer Vergütung in bestimmter Höhe, sodass der RA damit keinen vollstreckbaren Titel erhält. Wenn der Beschuldigte die vom RA verlangten Gebühren nicht freiwillig zahlt, muss der RA mangels der Festsetzbarkeit von Rahmengebühren über die Mindestgebühren hinaus (§ 11 Abs. 8 RVG) notfalls auf Zahlung klagen. Gegen den Feststellungsbeschluss ist die sofortige Beschwerde zulässig.
Beispiel:
Nach Erhebung der Anklage wurde RA Bienstich zum Pflichtverteidiger in der ersten Instanz bestellt. Für die eintägige Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer hat er folgende Vergütung aus der Staatskasse erhalten. Es wurden 23 Fotokopien aus der Ermittlungsakte gefertigt; die Akte erhielt RA Bi...