Rz. 52

Der durch eine Straftat Verletzte oder sein Erbe kann seine gegenüber dem Angeklagten entstandenen vermögensrechtlichen Ansprüche auf Schadenersatz und Schmerzensgeld im Strafverfahren gerichtlich geltend machen, obwohl dies eigentlich privatrechtliche Ansprüche sind. Dieses so genannte Adhäsionsverfahren (Anhangverfahren), das in den §§ 403 bis 406c StPO geregelt ist, ist jedoch nur für einfache und leicht feststellbare Ansprüche geeignet. Kompliziertere Ansprüche müssen im Zivilverfahren geltend gemacht werden (vgl. § 406 Abs. 1 S. 3 – 5 StPO). So könnte z. B. der bei einem Raubüberfall Verletzte seinen Schadenersatzanspruch wegen der zerrissenen Kleidung und seinen Schmerzensgeldanspruch im Adhäsionsverfahren feststellen lassen.

Obwohl eigentlich durch das Adhäsionsverfahren ein Zivilprozess eingespart werden könnte, spielt es in der Praxis keine so große Rolle. Das Strafgericht kann nämlich nach § 406 Abs. 1 S. 3 – 6 ZPO von einer Entscheidung absehen – dann wird es wohl noch zu einem Zivilprozess kommen (§ 406 Abs. 3 S. 3 ZPO).

 

Rz. 53

Der im ersten Rechtszug im Adhäsionsverfahren tätige Strafverteidiger erhält zusätzlich zu den Gebühren der Nrn. 4100 bis 4123 VV RVG eine Adhäsions-Verfahrensgebühr (Nr. 4143 VV RVG) mit einem Gebührensatz von 2,0 nach dem Gegenstandswert der vom Verletzten geltend gemachten Ansprüche für die Abwehr dieser Ansprüche. Auch in der Berufungsinstanz beträgt der Gebührensatz 2,0 für diese Gebühr, wenn der zivilrechtliche Anspruch erstmalig geltend gemacht wird (Nr. 4143 Anm. Abs. 1 VV RVG). Die Adhäsions-Verfahrensgebühr tritt an die Stelle der in einem Zivilprozess dem RA erwachsenden Gebühren der Nrn. 3100 und 3104 VV RVG, die in der Regel in der ersten Instanz mit einem Gebührensatz von insgesamt 2,5 anfallen. Die Ermäßigung im Strafverfahren auf 2,0 wird damit begründet, dass die Tätigkeit des RA weniger umfangreich ist, da er in die Strafsache schon eingearbeitet ist und z. B. dafür bereits eine Grundgebühr erhält. Für den Pflichtverteidiger wird die Gebühr aus der Tabelle zu § 49 RVG abgelesen.

Gleichfalls kann der Vertreter des Privat- oder Nebenklägers für die Geltendmachung solcher Ansprüche die Adhäsions-Verfahrensgebühr erhalten.

Die Adhäsions-Verfahrensgebühr erwächst dem RA nach der diesbezüglichen Auftragsannahme – wie auch sonst – bereits mit der Entgegennahme der Information vom Auftraggeber. Jedenfalls ist keine Verminderung dieser Gebühr wegen vorzeitiger Beendigung vorgesehen. Auf den Umfang der Tätigkeit des RA kommt es nicht an, da es sich um eine Pauschgebühr handelt. Diese Gebühr ist auch entstanden, wenn der Antrag zurück genommen wird oder wenn das Gericht von einer Entscheidung absieht.

 

Beispiel:

Räuber hat Opfer überfallen und verletzt. Räuber wird vor dem Schöffengericht angeklagt. Opfer macht im Adhäsionsverfahren seine Ansprüche in Höhe von 1.100,00 EUR geltend. Räuber wird von RA Sittich nur im Hauptverfahren vertreten. Es ist ein durchschnittlicher Fall, und es gibt nur eine Hauptverhandlung. RA Sittich fertigt aus der Ermittlungsakte 23 Fotokopien; die Ermittlungsakte wurde in das Gerichtsfach von RA Sittich gegen Empfangsbescheinigung eingelegt.

Berechnung der Vergütung (Hauptverfahren):

 
  Grundgebühr gem. §§ 2 Abs. 2 RVG, 14, Nr. 4100 VV RVG 220,00 EUR
 

Verfahrensgebühr für den ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht

gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nr. 4106 VV RVG
181,50 EUR
 

Terminsgebühr für den ersten Rechtszug vor dem Amtsgericht

gem. §§ 2 Abs. 2, 14 RVG, Nr. 4108 VV RVG
302,50 EUR
2,0

Adhäsions-Verfahrensgebühr

gem. §§ 2, 13 RVG, Nr. 4143 VV RVG

(Gegenstandswert: 1.100,00 EUR)
254,00 EUR
20 %

Pauschale für Post- und Telekommunikationsentgelte

gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7002 VV RVG
20,00 EUR
 

Dokumentenpauschale gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7000 Ziff. 1

Lit. a) VV RVG (23 Kopien)
11,50 EUR
    989,50 EUR
19 % USt. gem. § 2 Abs. 2 S. 1 RVG, Nr. 7008 VV RVG 188,01 EUR
    1.177,51 EUR
 

Rz. 54

Wird im Strafverfahren nicht über die zivilrechtlichen Ansprüche entschieden, weil z. B. die Sachlage zu kompliziert ist oder das Gericht den Anspruch für unbegründet hält oder der Angeklagte strafrechtlich nicht verurteilt werden kann, so können die vermögensrechtlichen Ansprüche noch in einem Zivilprozess geltend gemacht werden (§ 406 Abs. 3 S. 3 StPO). Vertritt derselbe RA, der im Strafverfahren tätig war, den Anspruchsteller wegen desselben Anspruchs in diesem Zivilverfahren, so wird ein Drittel der Adhäsions-Verfahrensgebühr auf die in dem bürgerlichen Rechtsstreit entstehenden Gebühren angerechnet (Anmerkung Abs. 2 zu Nr. 4143 VV RVG).

 

Beispiel:

Wie vorstehendes Beispiel. Über die vermögensrechtlichen Ansprüche in Höhe von 1.100,00 EUR wird nach § 406 Abs. 1 S. 3 – 6, Abs. 3 S. 3 ZPO nicht, wie beantragt, schon im Strafverfahren, sondern erst im nachfolgenden Zivilprozess entschieden, da das Strafgericht von einer Entscheidung absieht. Es werden nur die Gebühren für die Vertretung wegen der vermögensrechtlichen Ansprüche betrachtet. Die Gebühren für die ...

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