Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 95
Die Haftung aus culpa in contrahendo entfällt, soweit abschließende gesetzliche Regelungen bestehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs steht einem Schadensersatzanspruch des Käufers gegenüber dem Verkäufer wegen Verschuldens bei Vertragsschluss der grundsätzliche Vorrang des in §§ 434 ff. BGB geregelten Sachmängelrechts entgegen. Ein einem Käufer gegen den Verkäufer zustehender Nacherfüllungsanspruch aus §§ 437 Nr. 1, 439 BGB entfaltet daher eine "Sperrwirkung" gegenüber einem etwaigen Anspruch aus Verschulden bei Vertragsschluss wegen (fahrlässig) irreführender Darstellung des Fahrzeugs in einer Offerte. Der Grundsatz, wonach Ansprüche wegen Verschuldens bei Vertragsschluss im Sachbereich der §§ 434 ff. BGB nach Gefahrübergang grundsätzlich ausgeschlossen sind, gilt jedoch zumindest dann nicht, wenn der Verkäufer den Käufer über die Beschaffenheit der Sache arglistig getäuscht hat. Aber auch dann, wenn der Verkäufer Beratungspflichten übernommen hat, stehen dem Käufer neben kaufrechtlichen Ansprüchen Schadensersatzansprüche aus culpa in contrahendo zu. Entsprechendes gilt für Werkverträge ab Gefahrübergang und für Mietverträge ab Überlassung der Sache.
Rz. 96
Durch die Möglichkeit und Durchführung von Anfechtungen gemäß §§ 119 ff. BGB und durch das Bestehen deliktischer Haftung werden Ansprüche aus culpa in contrahendo nicht ausgeschlossen.
Rz. 97
Eine Haftung aus culpa in contrahendo kommt auch bei öffentlich-rechtlichen Vertragsanbahnungen in Betracht. Die Ausrichtung der öffentlichen Verwaltung auf das Gemeinwohl schließt einen vermögensrechtlichen Ausgleich von Interessengegensätzen der Vertragspartner nicht aus. In einem Fall, in dem die Parteien in längeren Verhandlungen gestanden hatten, die zum Abschluss eines Erschließungsvertrages, das heißt eines öffentlich-rechtlichen Vertrags führen sollten, hat der Bundesgerichtshof bekräftigt, dass auf derartige Verträge "nichtsubordinationsrechtlicher Art", die darauf abzielen, dass der private Vertragspartner sich auf eine Zusammenarbeit mit einem Träger staatlicher Gewalt einrichtet und den gemeinsam erstrebten Erfolg durch eigene Investitionen und sonstige Aufwendungen fördert, die im Bereich des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze über eine Haftung wegen Verschuldens beim Vertragsschluss (c.i.c.) grundsätzlich anwendbar sind. Schon während der Verhandlungen über den Abschluss eines Vertrages schuldet der Verhandlungspartner dem anderen Teil im Hinblick auf das durch die Verhandlungen begründete vertragsähnliche Vertrauensverhältnis die zumutbare Rücksichtnahme auf dessen berechtigte Belange. Dazu gehört auch, dass er die Vertragsverhandlungen nicht grundlos (ohne triftigen Grund, aus sachfremden Erwägungen) abbricht, wenn er zuvor das Vertrauen des anderen Teils, der Vertrag werde mit Sicherheit zustandekommen, erweckt hat. Ein schuldhafter Verstoß gegen diese Pflicht kann zu der Verpflichtung führen, dem Verhandlungspartner den dadurch verursachten Vertrauensschaden zu ersetzen.