Rz. 1

BGH, Urt. v. 17.11.2009 – VI ZR 64/08, VersR 2010, 268

Zitat

BGB § 254; StVG § 7

Der Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der nicht zugleich Halter desselben ist, muss sich die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs nur dann zurechnen lassen, wenn er seinerseits für Verschulden gemäß § 823 BGB oder für vermutetes Verschulden gemäß § 18 StVG haftet.

a) Der Fall

 

Rz. 2

Der Kläger, ein im Dienst des Landes Rheinland-Pfalz stehender Polizeibeamter, nahm die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich künftiger materieller Schäden in Anspruch.

Am 16.9.2000 gegen 22.30 Uhr befuhr der Kläger, der im Rahmen der Veranstaltung "Rhein in Flammen" als Motorradstreife eingesetzt war, mit seinem Dienstkraftrad die Bundesstraße 9 außerhalb der Ortschaft St. Goar in Richtung Koblenz. Auf einem von ihm aus gesehen neben der rechten Fahrbahn befindlichen Seitenstreifen waren verschiedene Reisebusse geparkt. Als der Kläger an diesen vorbeifuhr, betraten die Beklagten zwischen zwei hintereinander geparkten Bussen die Fahrbahn, um die Straße zu überqueren. Der Kläger wich nach links aus, kam zu Fall und verletzte sich. Die nach dem Unfall entnommene Blutprobe ergab bei der Beklagten zu 1 eine Blutalkoholkonzentration von 1,16 ‰, bei der Beklagten zu 2 eine solche von 1,3 ‰.

 

Rz. 3

Der Kläger war bis zum 31.12.2001 krankgeschrieben. Seit 4.1.2002 ist er im Innendienst – zunächst in Koblenz, seit 1.5.2002 in Trier – zur Bekämpfung der Internetkriminalität eingesetzt. Ohne den Unfall wäre er bereits im Januar 2002 nach Trier versetzt worden. Infolge der unfallbedingten Übertragung von Aufgaben im Innendienst entgingen dem Kläger verschiedene Zulagen und entstanden ihm Kosten durch Fahrten zu Ärzten und wegen der längeren Strecke zu seiner Dienststelle in Koblenz. Darüber hinaus konnte der Kläger krankheitsbedingt seinen Urlaub nicht nehmen.

 

Rz. 4

Mit der Klage hat er den Ersatz des ihm entstandenen materiellen Schadens, die Zahlung eines Schmerzensgelds sowie die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle Schäden aus dem Unfallereignis begehrt.

 

Rz. 5

Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und der Klage mit einer Haftungsquote von (nur) 80 % stattgegeben. Die weitergehenden Berufungen der Parteien hat es zurückgewiesen.

 

Rz. 6

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgte der Kläger seine Anträge aus dem Berufungsverfahren weiter.

b) Die rechtliche Beurteilung

 

Rz. 7

Das Berufungsurteil hielt einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

Nicht zu beanstanden und von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen war allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach dem Kläger gegen die Beklagten als Gesamtschuldner Ansprüche auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 840 Abs. 1 BGB, 847 Abs. 1 BGB a.F. i.V.m. Art. 229 § 8 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB zustanden, weil die Beklagten den Unfall des Klägers schuldhaft herbeigeführt hatten.

 

Rz. 8

Die Revision wandte sich aber mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger habe 20 % des ihm entstandenen Schadens selbst zu tragen, weil im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge gemäß den §§ 9 StVG a.F., 254 BGB die Betriebsgefahr des von ihm geführten Motorrads anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei.

 

Rz. 9

Zwar ist die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter alle Umstände vollständig und richtig gewürdigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat.

 

Rz. 10

Die Revision beanstandete aber mit Erfolg, dass das Berufungsgericht der Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge unzutreffende Erwägungen zugrunde gelegt hatte. Es war rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sich auch der Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der nicht zugleich Halter desselben ist, gemäß § 7 Abs. 2 StVG a.F. die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs zurechnen lassen müsse. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger lediglich Fahrer, nicht hingegen Halter des Motorrads. Er war mit seinem Dienstkraftrad unterwegs, als er den Unfall erlitt. Halter seines Dienstkraftrads war aber der Dienstherr. Dementsprechend hatte das Berufungsgericht dem Kläger auch lediglich die Betriebsgefahr des von ihm "geführten Motorrads" zugerechnet. Die Auffassung, der nicht haltende Fahrer eines Kraftfahrzeugs müsse sich die einfache Betriebsgefahr gemäß § 7 Abs. 2 StVG a.F. zurechnen lassen, widersprach aber der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, von der abzuweichen kein Anlass bestand. Eine entsprechende Zurechnung kommt nur in Betracht, wenn der Fahrer seinerseits für Verschulden gemäß § 823 BGB oder für vermutetes Verschulden gemäß § 18 StVG haftet. Denn die Anwendung...

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