Rz. 255
Zitat
StVO §§ 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 38 Abs. 3 S. 1
Ein vor einer Wechsellichtzeichenanlage ortsfest installiertes und mit deren Phasenwechsel gekoppeltes gelbes Blinklicht im Sinne des § 38 Abs. 3 S. 1 StVO beinhaltet für den Kraftfahrer keine über § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StVO hinausgehende Verhaltensanforderung, bereits wegen der blinkenden "Vorampel" seine Geschwindigkeit unter die zulässige Höchstgeschwindigkeit zu reduzieren. Er darf vielmehr unter Beibehaltung derselben weiter auf die Wechsellichtzeichenanlage zufahren und muss erst bei deren Phasenwechsel auf Gelb und auch nur dann anhalten, wenn ihm dies mit normaler Betriebsbremsung noch möglich ist.
a) Der Fall
Rz. 256
Der Kläger nahm die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, bei dem er im Dezember 1999 gegen 17.15 Uhr als Fahrradfahrer auf einem Fußgänger- und Radfahrerüberweg an einer Kreuzung beim Überqueren der Fahrbahn von dem vom Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten VW-Transporter erfasst und schwer verletzt wurde.
Rz. 257
Der Beklagte zu 1, der aus Sicht des Klägers von links herannahte, war zuvor bei Gelblicht der für ihn maßgebenden Wechsellichtzeichenanlage in die Kreuzung eingefahren. Vor dieser Verkehrsampel ist in ca. 150 m Entfernung eine "Vorampel" installiert, die phasenweise mit Gelblicht blinkt.
Rz. 258
Der Kläger behauptete, der Beklagte zu 1 habe die an der Unfallstelle zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h weit überschritten. Die Beklagten behaupteten, der Kläger habe zwar zunächst – unstreitig – an der für Fußgänger und Radfahrer Rotlicht anzeigenden Lichtzeichenanlage angehalten, sei dann aber losgefahren, obwohl die Verkehrsampel noch für ihn Rot zeigte.
Rz. 259
Das Landgericht hat der auf Feststellung der gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten für sämtliche materiellen und immateriellen Schäden gerichteten Klage zu einer Quote von 50 % stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufungen der Parteien zurückgewiesen. Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision der Beklagten und mit der Anschlussrevision des Klägers verfolgten die Parteien ihr ursprüngliches Klagebegehren weiter, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 260
Die Revision der Beklagten hatte Erfolg. Die bisherigen tatsächlichen Feststellungen rechtfertigten es nicht, bei der Abwägung zulasten der Beklagten eine durch einen Verstoß gegen § 37 Abs. 2 StVO (hierzu unter 2) und eine Kollisionsgeschwindigkeit von 60 km/h (hierzu unter 3) erheblich erhöhte Betriebsgefahr des VW-Transporters zu berücksichtigen.
Rz. 261
Die Bewertung der verschiedenen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge auf Seiten des Verletzten und des Ersatzpflichtigen ist zwar grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters und damit revisionsrechtlicher Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich. Die Revision machte jedoch im Rahmen der verbleibenden revisionsrechtlichen Überprüfbarkeit mit Recht geltend, dass der Abwägung nicht durchgehend rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde lagen und das Berufungsgericht nicht alle Umstände vollständig und richtig berücksichtigt hatte.
Rz. 262
Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Berufungsgericht keinen schuldhaften Verstoß des Beklagten zu 1 gegen § 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StVO bejahen.
Rz. 263
§ 37 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StVO ordnet allerdings bei einem Wechsellichtzeichen der Farbe Gelb an: "Vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten". Das Berufungsgericht geht jedoch selbst zutreffend davon aus, dass dieses Gebot nicht uneingeschränkt gilt. Steht Rot bevor, so muss nur derjenige Kraftfahrer anhalten, der dies noch mit einer mittleren, das heißt normalen Betriebsbremsung kann. Reicht dagegen der Bremsweg bei mittlerem Bremsen nicht aus, ist vielmehr starkes oder sogar gewaltsames Bremsen mit Blockierspur nötig, entfällt grundsätzlich die Wartepflicht. Der Kraftfahrer darf dann zügig und vorsichtig unter Beachtung des Querverkehrs durchfahren. Die Weiterfahrt begründet in diesem Fall nicht den Vorwurf des Verschuldens.
Rz. 264
Das Berufungsgericht hatte zur entscheidungserheblichen Frage der Bremsmöglichkeit des Beklagten zu 1 bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit keine Feststellungen getroffen, obwohl die Beklagten beweisbewehrt vorgetragen hatten, es sei dem Beklagten zu 1 selbst bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h nicht möglich gewesen, im Rahmen einer mittleren Bremsung noch rechtzeitig vor der Haltelinie anzuhalten.
Rz. 265
Das Berufungsgericht durfte diese Frage auch nicht im Hinblick auf das ca. 150 m vor der Wechsellichtzeichenanlage ortsfest installierte gelbe Blinklicht ungeklärt lassen. Denn durch eine solche nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit dem Phasenwechsel der Wechsellichtzeichenanlage gekoppelte "Vorampel" ergibt sich – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – für den Kraftfahrer keine über § 37 Abs. 2 S...