Rz. 281
Das Berufungsurteil hielt revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts konnte ein Schadensersatzanspruch des klagenden Landes wegen des Schadens an den Polizeifahrzeugen nicht deshalb verneint werden, weil die Polizeibeamten die entstandenen Schäden dadurch selbst verursacht haben, dass sie das Fluchtfahrzeug vorsätzlich rammten, um die Verfolgungsjagd zu beenden.
Rz. 282
Das Berufungsgericht hatte zunächst übersehen, dass ein Direktanspruch gegen den beklagten Haftpflichtversicherer nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG auch wegen einer unerlaubten Handlung ihres Versicherungsnehmers im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB in Betracht kam, wenn diese "durch den Gebrauch" des versicherten Kraftfahrzeugs erfolgt war.
Rz. 283
Nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt. Die Zulässigkeit einer Direktklage des Klägers gegen die Beklagte setzt mithin voraus, dass er einen Schadensersatzanspruch geltend macht, der im Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung von der Beklagten gedeckt werden muss. Die Vorschrift des § 1 PflVG verpflichtet den Halter eines Kraftfahrzeugs, eine Haftpflichtversicherung zur Deckung der "durch den Gebrauch des Fahrzeugs" verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden abzuschließen und aufrechtzuerhalten. An das Pflichtversicherungsgesetz knüpft § 10 Abs. 1 AKB an, wo es heißt, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung diejenigen Schäden deckt, die "durch den Gebrauch des im Vertrag bezeichneten Fahrzeugs" verursacht worden sind.
Rz. 284
Der Begriff des Gebrauchs schließt den Betrieb des Kraftfahrzeugs im Sinne des § 7 StVG ein, geht aber auch darüber hinaus. Bei der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, "durch den Gebrauch ... des Fahrzeugs" nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich, ob diese auf § 7 StVG, den §§ 823 ff. BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen. Im Streitfall hatte der Versicherungsnehmer der Beklagten das versicherte Kraftfahrzeug als Fluchtfahrzeug "gebraucht", um sich einer Polizeikontrolle bzw. einer vorläufigen Festnahme zu entziehen. Die bewusst herbeigeführte Kollision mit einem Polizeifahrzeug, um ihn zu stoppen, stand deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit dem konkreten Gebrauch des Fahrzeugs.
Rz. 285
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens im Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der (vorläufigen) Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben.
Rz. 286
Voraussetzung für eine deliktische Haftung ist in solchen Fällen stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat. Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass sein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte.
Rz. 287
Im Streitfall waren die Schäden an den Polizeifahrzeugen bei der gebotenen wertenden Betrachtungsweise auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts dem Versicherungsnehmer der Beklagten haftungsrechtlich sowohl objektiv als auch subjektiv zuzurechnen.
Rz. 288
Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Verletzungsrisikos auf den Fliehenden ist insbesondere die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt.
Rz. 289
Der Versicherungsnehmer der Beklagten hatte sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts einer Verkehrskontrolle entzogen, dabei eine Polizeibeamtin verletzt und sich da...