Rz. 50
Widerspricht der Arbeitnehmer dem Betriebsübergang, verbleibt sein Arbeitsverhältnis beim bisherigen Arbeitgeber (Betriebsveräußerer). Kann dieser den Arbeitnehmer wegen der Betriebsveräußerung mangels vorhandenen Arbeitsplatzes nicht mehr weiterbeschäftigen, berechtigt dies grds. zur betriebsbedingten Kündigung. Es stellt sich dann zwangsläufig die Frage, ob die betriebsbedingte Kündigung denjenigen Arbeitnehmer trifft, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen hat oder ob der ehemalige Betriebsinhaber nach § 1 Abs. 3 KSchG unter allen verbliebenen Arbeitnehmern eine Sozialauswahl durchführen muss.
Rz. 51
Hier war nach früherer Rechtsprechung zu differenzieren: Wurde der gesamte Betrieb übertragen, schied nach der Rechtsprechung des BAG eine Sozialauswahl aus, da es niemanden mehr gibt, mit dem der widersprechende Arbeitnehmer verglichen werden könnte. Verbleibt jedoch bei dem ehemaligen Betriebsinhaber noch ein Restbetrieb, insbesondere in Fällen des Teilbetriebsübergangs, sollten nach Auffassung des BAG objektiv vertretbare Gründe für den Widerspruch Berücksichtigung finden. Ein solcher objektiver Grund konnte z.B. darin liegen, dass der neue Arbeitgeber als unzuverlässig bekannt ist, es sich lediglich um einen Kleinbetrieb handelt, der mit dem Verlust des Kündigungsschutzes verbunden ist, fehlende Bonität oder Verlust der Sozialplanpflichtigkeit. Ein großzügiger Maßstab war allerdings nach Auffassung des BAG zugunsten des widersprechenden Arbeitnehmers nicht geboten. Problematisch waren auch die Fälle, in denen der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses allein aus dem Grund widerspricht, um an etwaigen Abfindungsregelungen/Sozialplanabfindungen des Veräußerers teilnehmen zu können. Nach überwiegender Auffassung sollte hier der Abfindungsanspruch nach den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben nach § 242 BGB entfallen. Nach einer Rechtsprechungsänderung des zweiten Senates des BAG können die Gründe für den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht mehr berücksichtigt werden. Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung bestimmt sich nun allein nach den in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG aufgeführten Kriterien. Der Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprochen hat, kann sich bei einer nachfolgenden, vom Betriebsveräußerer ausgesprochenen Kündigung daher auf eine mangelhafte Sozialauswahl berufen, ohne dass seine Beweggründe für den Widerspruch mit berücksichtigt werden. Der Senat begründet seine Rechtsprechungsänderung damit, dass die für die Sozialauswahl relevanten Kriterien abschließend in § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG aufgezählt seien. Auch der Weg über § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG soll verstellt sein. Denn die Herausnahme der nicht widersprechenden Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl stelle regelmäßig keine Möglichkeit dar, alle nicht vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Weiter lasse sich eine solche Nichtberücksichtigung dieser Arbeitnehmer schwerlich allein mit der Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur rechtfertigen. In Zukunft wird es daher nicht mehr möglich sein, den Widerspruch des Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang in einer nachfolgenden Sozialauswahl zu seinem Nachteil zu berücksichtigen. Deshalb wird teilweise in der Literatur das Institut der Verwirkung im Verhältnis des widersprechenden Arbeitnehmers zum Betriebsveräußerer bejaht. Hat der widersprechende Arbeitnehmer, der zuerst den Eindruck erweckt hat, beim Betriebserwerber bleiben zu wollen, erst nachträglich aufgrund einer fehlerhaften Widerrufsbelehrung widersprochen, verstieße er gegen Treu und Glauben, wenn er sich nun gegenüber den beim Betriebsveräußerer gebliebenen Arbeitnehmern in der Sozialauswahl auf eine höhere soziale Schutzbedürftigkeit beriefe.
Rz. 52
Beim sog. Teilbetriebsübergang gelten keine Besonderheiten. Auch hier ist der Arbeitnehmer berechtigt, dem Betriebsübergang zu widersprechen. Auch für die Sozialauswahl gelten die bereits oben dargestellten Grundsätze. Entgegen früherer Rechtsprechung müssen also keine berechtigten Gründe für den Widerspruch des Arbeitnehmers vorliegen, der sich auf die soziale Auswahl zulasten seiner Arbeitskollegen berufen möchte. Wird ein Betriebsteil stillgelegt und soll der andere Betriebsteil auf einen Erwerber übertragen werden, so war nach bisheriger Rechtsprechung des BAG eine auf den gesamten Betrieb, einschließlich des später übergehenden Betriebsteils, bezogene Sozialauswahl durchzuführen. In jüngerer Vergangenheit hat das BAG jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Rechtsprechung mit dem Unionsrecht geäußert. Es spreche manches dafür, dass die bisherige Rechtsprechung nicht in Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie 2001/23/EG stehe. Denn diese diene im Fall eines Betriebsteilübergangs allein dem Schutz der im veräußerten Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehm...