Dr. Heribert Heckschen, Dr. Christoph Löffler
Rz. 422
Wie bei der Gründung (vgl. dazu schon Rdn 65 ff.) begegnet man auch bei der Kapitalerhöhung in der Praxis sog. "verdeckten Sachkapitalerhöhungen". Tatsächlich ist oft nicht beabsichtigt, Barkapital real zu erbringen, sondern damit vielmehr sogleich von den Gesellschaftern Waren oder Rechte/Forderungen zu kaufen bzw. mit Forderungen dieser Personen zu verrechnen. Auch wird bei einer Kapitalerhöhung Barkapital verrechnet, das zuvor den Gesellschaftern als Gewinn ausgeschüttet wurde ("Schütt-aus-hol-zurück").
Wurden im Kapitalerhöhungsbeschluss keine Sacheinlagen festgesetzt, werden aber dennoch absprachegemäß Sacheinlagen erbracht, gelten gem. § 56 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 19 Abs. 4 GmbHG die Grundsätze über die verdeckte Sacheinlage bei der Gründung. Das bedeutet, dass grds. die Bareinlageverpflichtung des Inferenten fortbesteht, auf die aber der Wert der verdeckten Sacheinlage entspr. angerechnet wird (s.o. Rdn 75). Die Anrechnung erfolgt jedoch erst nach Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister, § 56 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 19 Abs. 4 Satz 4 GmbHG.
Der Umgang mit der Verrechnung mit Forderungen des Gesellschafters ist im Detail umstritten, wobei die maßgeblichen Unterscheidungen die Person des Aufrechnenden und den Entstehenszeitpunkt der mit der Einlageforderung zu verrechnenden Forderung betreffen. Mit der h.M. – und in Übereinstimmung mit dem Gesetzeswortlaut (§§ 56 Abs. 2, 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) – ist davon auszugehen, dass eine einseitige Aufrechnung des Inferenten mit eigenen Forderungen gegen die Einlageforderung der Gesellschaft unzulässig ist. Ebenso unzulässig ist die Aufrechnung durch oder die Verrechnung unter Mitwirkung der GmbH. Dies folgt im Falle einer vorherigen Absprache direkt, im Übrigen entsprechend, aus §§ 56 Abs. 2, 19 Abs. 4 Satz 1 GmbHG. All diesen Fällen ist gemein, dass eine Forderungseinbringung unter Verstoß gegen die Vorschriften über die offene Sachkapitalerhöhung erfolgt. Konsequenterweise kommt der Auf- oder Verrechnung in keinem der vorgenannten Fälle Tilgungswirkung zu. Allerdings hat richtigerweise eine Anrechnung auf die weiter offene Einlageverpflichtung des Inferenten zu erfolgen – im Fall der verdeckten Sacheinlage in direkter, im Übrigen in analoger Anwendung von §§ 56 Abs. 2, 19 Abs. 4 Satz 3 GmbHG.
Zwischen Alt- und Neuforderungen (bezogen auf den Zeitpunkt der Übernahme der Bareinlage) ist wie folgt zu differenzieren: während die zuvor dargestellten Grundsätze allein Altforderungen betreffen, haben Neuforderungen systematisch nichts mit den Fällen der verdeckten Sacheinlage gemein, da sie aufgrund des Entstehenszeitpunktes nicht Gegenstand einer offenen Sacheinlage hätten sein können. Kommt es also zu einer Verrechnung der Einlageforderung mit einer Neuforderung oder rechnet die Gesellschaft gegen die Neuforderung auf, erlischt die Einlageforderung insoweit und der Gesellschafter sieht sich im Falle mangelnder Vollwertigkeit einem Differenzhaftungsanspruch gem. § 9 Abs. 1 GmbHG ausgesetzt.
Neben der Verrechnung der Einlageforderung der Gesellschaft mit einem Anspruch des Gesellschafters (Darlehenrückzahlungs-, Gewinnausschüttungsanspruch o.Ä.) oder dem "Hin- und Herzahlen" von Geld zur Vermeidung einer nach § 19 Abs. 2 Satz 2 GmbHG unzulässigen Aufrechnung, kommt es in der Praxis auch zur Einschaltung Dritter, etwa wenn mit der Bareinlage ein der Gesellschaft von einem Dritten gewährtes Darlehen getilgt wird. Sofern das Darlehen wirtschaftlich vom Inferenten gewährt wurde oder die Einlage mit Mitteln bewirkt wird, die dem Inferenten von diesem Dritten zur Verfügung gestellt worden sind, handelt es sich auch in dieser Konstellation um eine verdeckte Sacheinlage; ein bloßes Näheverhältnis des Inferenten zum Darlehensgeber genügt dafür jedoch nicht.