Dr. Lutz Förster, Dennis Ch. Fast
Rz. 62
Die Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung im zivilrechtlichen Sinne nach § 138 BGB ist von der Angemessenheit der Vergütungsvereinbarung im Sinne von § 3a Abs. 2 RVG abzugrenzen. Führt die Sittenwidrigkeit einer Vergütungsvereinbarung zu deren Nichtigkeit, kommt es bei einer unangemessenen Vergütung lediglich zu deren Herabsetzung. Die Abgrenzung kann anhand der Systematik der §§ 3a ff. RVG vorgenommen werden, wobei die Höhe der Vergütung in vier Kategorien unterteilt werden kann:
▪ |
die gesetzliche Vergütung, |
▪ |
die die gesetzliche Vergütung übersteigende angemessene vereinbarte Vergütung, |
▪ |
die vereinbarte unangemessene hohe, aber noch nicht sittenwidrige Vergütung und |
▪ |
die sittenwidrige Vergütung. |
Rz. 63
Eine Vergütungsvereinbarung kann nach den Umständen des Zustandekommens in den Fällen nach § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig sein, in denen der Rechtsanwalt eine Zwangslage für den Mandanten geschaffen oder ausgenutzt hat. Als Zwangslage kann die Verhaftung des Mandanten an das Mandat angesehen werden. Eine solche Verhaftung kann vorliegen, wenn die Vergütungsvereinbarung unter der Androhung zustande kommt, dass der Rechtsanwalt bei fehlender Unterzeichnung das Mandat niederlegt und das Gericht im Verfahren diese Mandatsniederlegung zulasten des Mandanten wertet. Von der Androhung muss die Privatautonomie des Rechtsanwalts abgegrenzt werden, wonach es ihm frei steht, ob er ein Mandat bei fehlender Unterzeichnung einer Vergütungsvereinbarung annimmt oder später niederlegt, soweit für den Mandanten dadurch keine Zwangslage entsteht.
Rz. 64
Der Inhalt der Vergütungsvereinbarung kann zur Sittenwidrigkeit nach § 138 Abs. 2 BGB führen, sofern ein auffälliges Missverhältnis zwischen der versprochenen Leistung des Rechtsanwalts einerseits und der vereinbarten Vergütung andererseits vorliegt und zusätzliche subjektive, die Sittenwidrigkeit begründende Merkmale beispielsweise einer Notlage oder einer Unterlegenheit des Mandanten hinzutreten. Die zur Sittenwidrigkeit eines Austauschvertrags entwickelten allgemeinen Grundsätze zum auffälligen Missverhältnis, wonach ein auffälliges Missverhältnis vorliegt, wenn die vereinbarte Vergütung den Wert der zur erbringenden Gegenleistung um mehr als 100 % übersteigt, sind bei der Vergütungsvereinbarung nicht anwendbar. Eine Sittenwidrigkeit kommt nur bei einem objektiv krassen Missverhältnis zwischen dem Wert der anwaltlichen Dienstleistung und der dafür vereinbarten Vergütung und einem subjektiven Ausnutzen der Unerfahrenheit oder Zwangslage des Mandanten durch den Rechtsanwalt in Betracht. Dies bedarf der Prüfung im Einzelfall.
Rz. 65
Die Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung führt nicht zur Nichtigkeit des gesamten Anwaltsvertrags. Die Nichtigkeit beschränkt sich nur auf die Vergütungsvereinbarung, wodurch dem Rechtsanwalt über den § 612 Abs. 2 BGB anstatt der vereinbarten Vergütung zumindest noch die gesetzlichen Gebühren zustehen. Diesem Anspruch kann aber der Einwand von Treu und Glauben nach § 242 BGB entgegenstehen mit der Folge, dass der Rechtsanwalt bloß seine Aufwendungen nach §§ 675, 667 BGB ersetzt verlangen kann.
Konnte die Sittenwidrigkeit der Vergütungsvereinbarung nach § 138 BGB nicht festgestellt werden, muss gefragt werden, ob eine unter Umständen unangemessen hoch vereinbarte Vergütung nach § 3a Abs. 2 RVG herabgesetzt werden muss. Bei der Beurteilung der Angemessenheit einer Vergütungsvereinbarung hat sich in der Rechtsprechung eine eigenständige Kaustik entwickelt, die versucht hat, dem Spannungsverhältnis zwischen der Vertragsfreiheit, der Bindung des Rechtsanwaltes als Organ der Rechtspflege und dem Mandantenschutz gerecht zu werden. Die Darlegungs- und Beweislast, ob eine Vergütung unangemessen ist, liegt beim Auftraggeber.