Norbert Schneider, Lotte Thiel
Rz. 163
Achtzugeben ist, wenn im Verbundverfahren eine volle und eine ermäßigte Verfahrensgebühr anfallen, so dass nach § 15 Abs. 3 RVG zu kürzen sein kann. Nach einhelliger Rspr. ist erst anzurechnen und dann zu kürzen.
Beispiel 88: Anrechnung der Geschäftsgebühr bei voller und ermäßigter Verfahrensgebühr
Der Anwalt ist im Scheidungsverfahren (Ehesache 9.000,00 EUR; Versorgungsausgleich 2.700,00 EUR) tätig. Außergerichtlich wird er mit der Geltendmachung von Trennungsunterhalt beauftragt, über den im Scheidungstermin eine Einigung erzielt wird.
Aus dem Wert des Scheidungsverbundverfahrens erhält der Anwalt eine 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV. Aus dem Wert des Trennungsunterhalts entsteht die 0,8-Verfahrensdifferenzebühr. Hierauf ist zunächst die vorangegangene Geschäftsgebühr hälftig anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV). Erst danach ist die Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG zu prüfen.
I. |
Außergerichtliche Vertretung Trennungsunterhalt (Wert: 6.000,00 EUR) |
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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460,20 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
480,20 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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91,24 EUR |
Gesamt |
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571,44 EUR |
II. |
Verbundverfahren |
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
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785,20 EUR |
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(Wert: 11.700,00 EUR) |
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2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV |
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283,20 EUR |
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
|
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3. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,65 aus 6.000,00 EUR |
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– 230,10 EUR |
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die Grenze des § 15 Abs. 3 RVG, nicht mehr als 1,3-Gebühr aus 17.700,00 EUR (904,80 EUR), ist nicht überschritten |
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4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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835,20 EUR |
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(Wert: 17.700,00 EUR) |
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5. |
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV |
|
531,00 EUR |
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
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6. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
2.224,50 EUR |
|
7. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
422,66 EUR |
Gesamt |
|
2.647,16 EUR |
Würde man dagegen im Verbundverfahren erst nach § 15 Abs. 3 RVG kürzen und dann anrechnen, ergäbe sich folgende Berechnung im Verbundverfahren:
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
785,20 EUR |
|
|
(Wert: 11.700,00 EUR) |
|
|
2. |
0,8-Verfahrensgebühr, Nrn. 3100, 3101 Nr. 2 VV |
283,20 EUR |
|
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
|
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gem. § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als 1,3 aus 17.700,00 EUR |
|
904,80 EUR |
|
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,65 aus 6.000,00 EUR |
|
– 230,10 EUR |
3. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
|
835,20 EUR |
|
(Wert: 17.700,00 EUR) |
|
|
4. |
1,5-Einigungsgebühr, Nr. 1000 VV |
|
531,00 EUR |
|
(Wert: 6.000,00 EUR) |
|
|
5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
2.060,90 EUR |
|
6. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
391,57 EUR |
Gesamt |
|
2.452,47 EUR |
Rz. 164
Besondere Anrechnungsprobleme ergeben sich ferner insoweit, als hier oft mehrere außergerichtliche Geschäftsgebühren aus verschiedenen einzelnen außergerichtlichen Angelegenheiten auf eine einheitliche Verfahrensgebühr des Verbundverfahrens anzurechnen sind. In diesem Fall ist jede Geschäftsgebühr hälftig, höchstens zu 0,75 anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV).
Rz. 165
Strittig ist, ob das Anrechnungsaufkommen zu begrenzen ist. Der BGH der Auffassung, dass das Anrechnungsaufkommen nicht zu begrenzen ist, also dass jede Gebühr ungekürzt anzurechnen ist, selbst wenn danach die nachfolgende Verfahrensgebühr untergeht. Die Anrechnung kann allerdings nicht weiter gehen als die Verfahrensgebühr, so dass sich also im nachfolgenden Verfahren durch die Anrechnung kein negativer Betrag bei der Verfahrensgebühr ergeben kann.
Rz. 166
Nach a.A. darf (gegebenenfalls in analoger Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG) nicht mehr angerechnet werden als ein Betrag nach dem höchsten hälftigen Satz aus dem Gesamtwert der einzelnen Angelegenheiten.
Beispiel 89: Anrechnung mehrerer Geschäftsgebühren im Verbund
Der Anwalt war außergerichtlich jeweils gesondert tätig hinsichtlich des Zugewinns (Wert: 20.000,00 EUR), der Überlassung der Ehewohnung (Wert: 4.000,00 EUR) sowie betreffend den Kindesunterhalt (Wert: 3.600,00 EUR). Abgerechnet hatte der Anwalt insoweit wie folgt:
I. |
Zugewinn (Wert: 20.000,00 EUR) |
|
|
1. |
1,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
742,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
762,00 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
144,78 EUR |
Gesamt |
|
906,78 EUR |
II. |
Ehewohnung (Wert: 4.000,00 EUR) |
|
|
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
378,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
398,00 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
75,62 EUR |
Gesamt |
|
473,62 EUR |
III. |
Unterhalt (Wert: 3.600,00 EUR) |
|
|
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
|
327,60 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
347,60 EUR |
|
3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
66,04 EUR |
Gesamt |
|
413,64 EUR |
Es kommt hiernach zum Scheidungsverfahren (Werte: Ehesache 6.000,00 EUR; Versorgungsausgleich 1.200,00 EUR). Zugewinn, Kindesunterhalt und Ehewohnungssache werden als Folgesache anhängig gemacht.
Nach Auffassung des BGH wird jeweils die vorgerichtlich entstandene Geschäftsgebühr hälftig angerechnet: