Rz. 36

Ein Wille der Partner eines Gutachtenvertrages, einen Dritten – i.d.R. einen Kreditgeber, Käufer oder Kapitalanleger – in den vertraglichen Schutzbereich aufzunehmen, ist nach der Rechtsprechung anzunehmen, wenn eine Person, die über besondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügt, auftragsgemäß ein Gutachten erstattet, dass erkennbar zum Gebrauch ggü. Dritten bestimmt ist und deswegen i.d.R. nach dem Willen des Auftraggebers ("Bestellers") mit einer entsprechenden Beweiskraft ausgestattet sein soll. Dabei ist entscheidend, dass der Gutachter nach dem Inhalt des Auftrags damit rechnen musste, sein Gutachten werde ggü. Dritten verwendet und von diesen – im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens – zur Grundlage einer Vermögensverfügung gemacht. Ist das der Fall, umfasst der Gutachtenvertrag auch den Schutz dieser Dritten; ein entgegenstehender Wille der Vertragspartner, der auf eine Täuschung des Dritten zielt, ist treuwidrig und daher unbeachtlich.[154] Entsprechend dem Zweck des Gutachtens, ggü. dem Dritten Vertrauen zu erwecken und Beweiskraft zu vermitteln, hindert eine Gegenläufigkeit der Interessen des Auftraggebers und des Dritten nicht dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Gutachtenvertrages (vgl. aber Rdn 70).[155]

 

Rz. 37

Die Prüfung, ob im Einzelfall ein bestimmter Dritter von den Partnern eines Gutachtenvertrages in dessen Schutzbereich aufgenommen wurde, ist im Wege der Auslegung – auch einer ergänzenden Auslegung – vorzunehmen und im Rechtstreit Aufgabe des Tatrichters. Wesentlicher Auslegungsstoff sind Mitteilungen des Gutachters zu Inhalt und Umständen der Auftragserteilung sowie der Inhalt des Gutachtens, insb. Angaben zu dessen Zweck.[156]

 

Rz. 38

Die Rechtsprechung betont zwar das Anliegen, dass der Kreis derjenigen Dritten, die von den Schutzpflichten eines Gutachtenvertrages erfasst werden, "nicht uferlos ausgeweitet werden darf".[157] Das hat den BGH aber nicht gehindert, in den Schutzbereich eines fremden Gutachtenvertrages "auch eine namentlich nicht bekannte Vielzahl" anderer Personen einzubeziehen.[158]

Zum Kreis der geschützten Dritten gehören diejenigen Personen, in deren Interesse die Vertragsleistung des Schuldners – etwa eines Gutachters – nach der ausdrücklichen oder stillschweigenden Vereinbarung der Vertragspartner zumindest auch erbracht werden soll.[159] Der Schuldner soll für Schäden Dritter dann nicht einstehen müssen, wenn ihm nach Treu und Glauben sowie mit Rücksicht auf den Vertragszweck nicht zugemutet werden kann, sich ohne zusätzliche Vergütung auf das Risiko einer erweiterten Haftung einzulassen.[160]

Eine entsprechende – unzulässige – Ausweitung des Haftungsrisikos verneint der BGH, wenn das Gutachten – für den Gutachter erkennbar – vereinbarungsgemäß Finanzierungszwecken dient; dann können auch mehrere Kreditgeber, bei komplexen Finanzierungen auch eine namentlich nicht bekannte Vielzahl privater Kreditgeber in den Schutzbereich eines Gutachtenvertrages einbezogen sein.[161] Dementsprechend hat der BGH auch einem Kreditinstitut, das dem Kreditgeber für ein Teildarlehen gebürgt hat, die Schutzwirkung eines Gutachtenvertrages zugebilligt.[162] Für die Aufnahme eines Dritten in den Schutzbereich eines Gutachtenvertrages kommt es nicht darauf an, ob die Vertragspartner diejenigen Personen kennen, die von dem Gutachten betroffen werden können; es genügt, dass dieses erkennbar für Dritte bestimmt ist, wobei allerdings die vertragliche Schutzpflicht auf eine überschaubare, klar abgrenzbare Personengruppe beschränkt ist.[163] Der Gutachter haftet nicht, wenn der Auftraggeber das Gutachten in einer Weise verwendet, mit der ein redlicher Gutachter nicht mehr rechnen muss; dies kann der Fall sein, wenn der Auftraggeber das Gutachten rechtswidrig benutzt, etwa zu einem Kreditbetrug.[164]

 

Rz. 39

Die vorstehenden Grundsätze der Rechtsprechung für eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Gutachtenvertrages gelten entsprechend, wenn

es sich dabei um eine – hinter dem Auftraggeber stehende – "Käufergruppe" handelt, falls diese objektiv abgrenzbar ist; Zahl oder Namen der zu schützenden Personen braucht der Gutachter nicht zu kennen;[165]
der Auftraggeber das Gutachten zur Auflegung einer Anleihe verwendet, um sich Kapital von Investoren zu beschaffen.[166]
 

Rz. 40

Keine Schutzwirkung eines Gutachtenvertrages für Dritte ist in folgenden Fällen angenommen worden:[167]

Nachdem ein Unternehmen eine Vollbankerlaubnis beantragt hatte, beauftragte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Sonderprüfung. Das Unternehmen verlangte von dieser Gesellschaft Schadensersatz, weil ihr Prüfbericht fehlerhaft sei. Die Klage war erfolglos, weil das von der Behörde eingeholte Gutachten nicht Entscheidungsgrundlage für Vermögensdispositionen, sondern allein für das weitere behördliche Vorgehen sein sollte.[168]

Dementsprechend hat ein Vertrag der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) mit ...

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