Rz. 19
Ein echter Anwaltsvertrag, aufgrund dessen der Rechtsanwalt seinem Auftraggeber Rechtsbeistand schuldet (§ 3 BRAO), oder ein berufstypischer Steuerberater- oder Wirtschaftsprüfervertrag kann zum Inhalt haben, dass der Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer mit seiner Leistungspflicht zumindest auch die Vermögensinteressen eines Dritten wahrzunehmen hat. Dann kann die – notfalls ergänzende – Auslegung des Vertrages ergeben, dass der Dritte in den Schutzbereich der Vertragsleistung des Rechtsberaters einbezogen ist und bei einer Leistungsstörung einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen diesen haben kann (vgl. Rdn 1 ff.).
Da Ausgangspunkt der Frage der Einbeziehung der Vertragswillen der Vertragspartner ist, steht es diesen frei, über den Umfang des Drittschutzes eigenständige Vereinbarungen zu treffen. So hat der BGH bereits zur "Wohl und Wehe"-Rechtsprechung festgehalten, dass auch dann, wenn ein Dritter zu diesem Personenkreis zählt, wirksam vereinbart werden kann, dass dieser Dritte nicht in den Schutzbereich des Vertrages eingebunden werden soll. Im umgekehrten Fall kann eine Person, die nicht zu diesem Personenkreis zu rechnen ist, durch ausdrückliche oder stillschweigende Abrede in den Schutzbereich des Vertrages einbezogen werden. Hierauf hat der BGH in seiner Grundsatzentscheidung vom 14.6.2012 ausdrücklich Bezug genommen. Das OLG Koblenz hat im Anschluss an diese Grundsätze mit Urt. vom 23.1.2013 in einer Anwaltshaftungssache im Wege der Beweisaufnahme die dort strittige Frage des Drittschutzes geklärt und ist zum Ergebnis gelangt, dass die Behauptung des verklagten Rechtsberaters, es sei im Rahmen des Beratungsgesprächs mündlich vereinbart worden, dass der Geschäftsführer nicht in den Schutzbereich einbezogen werden solle, nachgewiesen worden sei.
I. Schutzwirkung für Angehörige des Auftraggebers
Rz. 20
In den beiden ersten Urteilen, in denen der BGH echten Anwaltsverträgen im Ergebnis Schutzwirkung für Dritte zugebilligt hat, hat er seine Bedenken betont, Dritte in den Schutzbereich der vertraglichen Hauptpflicht des Rechtsanwalts, seinem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten, einzubeziehen; späteren Entscheidungen des BGH sind solche Bedenken nicht mehr zu entnehmen.
Im ersten Fall hatte ein Rechtsanwalt seine vertragliche Verpflichtung ggü. seinem Mandanten, an der testamentarischen Erbeinsetzung der Tochter mitzuwirken, schuldhaft verletzt. Der BGH hat ausgeführt, die anwaltliche Leistungspflicht habe zwar nur ggü. dem Auftraggeber bestanden, nach Sinn und Zweck des Vertrages habe aber der Rechtsanwalt eine vertragliche Sorgfaltspflicht auch ggü. der Tochter gehabt, sodass dieser ein eigener Anspruch aus dem Anwaltsvertrag auf Ersatz ihres Schadens infolge des unterbliebenen Testaments zustehe.
Im nächsten Fall hatte ein Rechtsanwalt, der den Ehemann in einem Ehescheidungsverfahren vertrat, schuldhaft versäumt, eine von ihm entworfene Scheidungsvereinbarung, in der sich die Ehefrau zur Übertragung eines Grundstücksanteils an die Kinder verpflichtete, beurkunden zu lassen. Der BGH hat einem Kind des Mandanten gegen den Rechtsanwalt einen Schadensersatzanspruch zugebilligt, der sich entweder aus einer Schutzwirkung des Anwaltsvertrages zugunsten der Kinder oder aufgrund einer Abtretung eines Schadensersatzanspruchs des Auftraggebers ergebe. Dabei hat der BGH eine Schutzwirkung des Anwaltsvertrages in den Vordergrund gerückt; nach dem Schlusssatz seines Urteils wäre eine andere Entscheidung mit dem Sinn und Zweck dieses Vertrages nicht zu vereinbaren.
Rz. 21
Weitere Anwaltsverträge mit Schutzwirkung für Angehörige des Mandanten sind in folgenden Fällen angenommen worden:
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Hat ein Rechtsanwalt, der seinen Auftraggeber bei der vorzeitigen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses vertritt, auch eine Vereinbarung über Ruhegeld herbeizuführen, hat der Anwaltsvertrag Schutzwirkung zugunsten der Ehefrau des Mandanten, weil die Ruhegehaltsregelung auch die Anwartschaft auf die Witwenrente bestimmt. Die Ehefrau hat gegen den Rechtsanwalt einen eigenen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der sich daraus ergibt, dass ihr Rentenanspruch infolge einer unklaren Formulierung der Ruhegeldabrede durch den Anwalt zu niedrig ausfällt. |
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Hat ein Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten, der anstelle seiner Ehefrau seine Töchter als Erben einsetzen will, einen Ehescheidungsantrag (wegen der Wirkung gem. §§ 1933, 2077, 2279 BGB) zuzustellen und die Ausübung eines vorbehaltenen Rücktritts von einem Erbvertrag zugunsten der Ehefrau (vgl. §§ 2293, 2296, 2298 Abs. 2 BGB) vor einem Notar herbeizuführen, sind die Töchter des Auftraggebers in den Schutzbereich d... |