Rz. 20
In den beiden ersten Urteilen, in denen der BGH echten Anwaltsverträgen im Ergebnis Schutzwirkung für Dritte zugebilligt hat, hat er seine Bedenken betont, Dritte in den Schutzbereich der vertraglichen Hauptpflicht des Rechtsanwalts, seinem Auftraggeber rechtlichen Beistand zu leisten, einzubeziehen; späteren Entscheidungen des BGH sind solche Bedenken nicht mehr zu entnehmen.
Im ersten Fall hatte ein Rechtsanwalt seine vertragliche Verpflichtung ggü. seinem Mandanten, an der testamentarischen Erbeinsetzung der Tochter mitzuwirken, schuldhaft verletzt. Der BGH hat ausgeführt, die anwaltliche Leistungspflicht habe zwar nur ggü. dem Auftraggeber bestanden, nach Sinn und Zweck des Vertrages habe aber der Rechtsanwalt eine vertragliche Sorgfaltspflicht auch ggü. der Tochter gehabt, sodass dieser ein eigener Anspruch aus dem Anwaltsvertrag auf Ersatz ihres Schadens infolge des unterbliebenen Testaments zustehe.
Im nächsten Fall hatte ein Rechtsanwalt, der den Ehemann in einem Ehescheidungsverfahren vertrat, schuldhaft versäumt, eine von ihm entworfene Scheidungsvereinbarung, in der sich die Ehefrau zur Übertragung eines Grundstücksanteils an die Kinder verpflichtete, beurkunden zu lassen. Der BGH hat einem Kind des Mandanten gegen den Rechtsanwalt einen Schadensersatzanspruch zugebilligt, der sich entweder aus einer Schutzwirkung des Anwaltsvertrages zugunsten der Kinder oder aufgrund einer Abtretung eines Schadensersatzanspruchs des Auftraggebers ergebe. Dabei hat der BGH eine Schutzwirkung des Anwaltsvertrages in den Vordergrund gerückt; nach dem Schlusssatz seines Urteils wäre eine andere Entscheidung mit dem Sinn und Zweck dieses Vertrages nicht zu vereinbaren.
Rz. 21
Weitere Anwaltsverträge mit Schutzwirkung für Angehörige des Mandanten sind in folgenden Fällen angenommen worden:
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Hat ein Rechtsanwalt, der seinen Auftraggeber bei der vorzeitigen Beendigung seines Arbeitsverhältnisses vertritt, auch eine Vereinbarung über Ruhegeld herbeizuführen, hat der Anwaltsvertrag Schutzwirkung zugunsten der Ehefrau des Mandanten, weil die Ruhegehaltsregelung auch die Anwartschaft auf die Witwenrente bestimmt. Die Ehefrau hat gegen den Rechtsanwalt einen eigenen Anspruch auf Ersatz des Schadens, der sich daraus ergibt, dass ihr Rentenanspruch infolge einer unklaren Formulierung der Ruhegeldabrede durch den Anwalt zu niedrig ausfällt. |
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Hat ein Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten, der anstelle seiner Ehefrau seine Töchter als Erben einsetzen will, einen Ehescheidungsantrag (wegen der Wirkung gem. §§ 1933, 2077, 2279 BGB) zuzustellen und die Ausübung eines vorbehaltenen Rücktritts von einem Erbvertrag zugunsten der Ehefrau (vgl. §§ 2293, 2296, 2298 Abs. 2 BGB) vor einem Notar herbeizuführen, sind die Töchter des Auftraggebers in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen. Diese können den Unterschiedsbetrag zwischen dem Wert des Nachlasses und demjenigen ihrer Pflichtteile als Schadensersatz geltend machen, wenn der Anwalt seine Vertragspflicht schuldhaft verletzt hat. |
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Prüft ein Rechtsanwalt den Entwurf eines Testaments seines Auftraggebers, hat der Anwaltsvertrag Schutzwirkung für die bedachten Angehörigen. Ihrer Erbengemeinschaft steht ein Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt zu, wenn dieser dem Auftraggeber nicht eine gebotene Regelung vorgeschlagen hat, die eine Einziehung seiner Kommanditanteile durch die übrigen Gesellschafter ausgeschlossen hätte. |
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Verletzt der Rechtsanwalt schuldhaft seine Vertragspflicht, die Ehelichkeit eines scheinehelichen Kindes anzufechten, ergibt die Auslegung des Anwaltsvertrages, dass ein leibliches Kind des Mandanten, das bei einem Erfolg der Anfechtungsklage erbrechtlich begünstigt worden wäre, in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen ist und deswegen einen eigenen Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt hat, weil dessen Tätigkeit auch und gerade diesem Kind zu dienen bestimmt war und der Anwalt eine solche Erwartung seines Mandanten kannte. |
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Hat ein Rechtsanwalt den Auftrag seiner Mandantin, die ihr vermietetes Haus ihrer Tochter und deren Familie überlassen will, den Mietvertrag zu kündigen, sind diese Angehörigen in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen. Diese haben einen Anspruch auf Ersatz ihres Schadens, wenn zu spät gekündigt wird. |
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Soll ein Rechtsanwalt im Auftrag seines Mandanten einen Erbvertrag anfechten, sind die gesetzlichen Erben des Auftraggebers in den Schutzbereich des Anwaltsvertrages einbezogen. Diese können von dem Rechtsanwalt Schadensersatz verlangen, wenn die Anfechtung infolge einer schuldhaften Pflichtverletzung des Rechtsanwalts fehlschlägt (vgl. aber Rdn 80 ff.). |
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Teilt der Mandant seinem Rechtsanwalt, der eine Forderung geltend machen soll, mit, er habe diese Forderung an seine Ehefrau abgetreten, kann der Anwaltsvertrag Schutzwirkung zugunsten der Ehefrau des Auftraggebers haben. |
Rz. 22
Ein Anwaltsvertrag mit Schutzwirkung für Angehörige des Mandanten ist dagegen abgelehn...