A. Allgemeines
Rz. 1
Neben einem Vertrag i.S.d. § 328 Abs. 1 BGB, der den Anspruch eines Dritten auf die von den Vertragspartnern vereinbarte und vom Schuldner zu erbringende hauptsächliche Vertragsleistung begründet, ist ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten eines Dritten – in entsprechender Anwendung der §§ 328 ff. BGB (vgl. § 9 Rdn 1 ff.) – als selbstständiger Vertragstyp anerkannt. Ein solcher Vertrag bezieht eine Person, die nicht am Vertragsschluss beteiligt ist, so stark in seinen Schutzbereich ein, dass sie daraus zwar keinen – primären – Anspruch auf die vertragliche Hauptleistung, wohl aber einen eigenen – sekundären – Schadensersatzanspruch gegen den Schuldner wegen Verletzung von Vertragspflichten erwerben kann. Ein Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist ein Schwerpunkt der beruflichen Dritthaftung von Rechtsberatern.
B. Rechtsgrundlage und Zweck des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter
I. Schutzwirkung kraft Vertragsauslegung
Rz. 2
Schon das RG gewährte in Anwendung des § 328 BGB einer Person, die bei der Erfüllung eines fremden Vertrages geschädigt worden war, durch Auslegung, notfalls durch ergänzende Vertragsauslegung, einen eigenen, aus diesem Vertrag abgeleiteten Anspruch gegen den Schuldner auf Ersatz ihres Schadens. Die Rechtsprechung des BGH hat den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten eines Dritten zu einer selbstständigen Vertragsart analog § 328 ff. BGB entwickelt. Sie rechtfertigt den Schadensersatzanspruch des Dritten aus dem fremden Vertrag mit dem Willen der Vertragspartner, der durch Auslegung gem. § 157 BGB und für den Fall, dass die Parteien an den Schutz Dritter bei Abwicklung ihres Vertrages nicht gedacht haben, durch ergänzende Auslegung ermittelt wird. Entscheidend ist also, ob sich eine Schutzwirkung des Vertrages für einen Dritten auf einen entsprechenden Vertragswillen der Vertragspartner zurückführen lässt. Auch wenn die Schutzwirkung in der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf eine Willensbildung der Vertragsparteien gestützt wird und dies als Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben gilt, handelt es sich hierbei um eine im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelte Rechtsfigur. Daneben kann die Einbeziehung Dritter auch aufgrund ausdrücklicher Regelung der Vertragspartner erfolgen.
Ein Teil des Schrifttums befürchtet, dass eine ergänzende Auslegung häufig zur Annahme eines fiktiven Willens der Vertragspartner führe, und stützt die Schutzwirkung des fremden Vertrages zugunsten des Dritten auf den gesetzlichen Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr (§ 242 BGB); diese Rechtsgrundlage führt i.d.R. zu demselben Ergebnis wie eine Vertragsauslegung. Ein anderer Teil des Schrifttums hat andere Rechtsgrundlagen für eine Expertenhaftung entwickelt. Nach Einführung des § 311 Abs. 3 BGB wäre eine Dritthaftung aus Verschulden bei Vertragsschluss (culpa in contrahendo) – parallel zur Eigenhaftung eines Verhandlungsgehilfen (Vertreters, Vermittlers, Sachwalters) einer Vertragspartei (vgl. § 13 Rdn 1 ff.) – eine Alternative oder Ergänzung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Dieser rechtliche Ansatz knüpft nicht an den Vertrag des Sachkenners – etwa eines Rechtsberaters – mit seinem Auftraggeber an, sondern an dessen Vertrag mit seinem Vertragsgegner; Entscheidungsgrundlage für den Abschluss dieses Vertrages ist die Expertise des Fachmanns. Da dann dieser – nicht der Vertragspartner des Auftraggebers – Dritter ist, geht es insoweit nicht – wie bei einem Vertrag mit Schutzwirkung – um den Schutz eines Dritten, sondern um die Haftung des Experten als Drittem ggü. dem Geschäftspartner seines Auftraggebers aus Verschulden bei Abschluss des Vertrages dieser Personen; diese Haftung hat dann ihre Grundlage in der Inanspruchnahme und Gewährung von Vertrauen und führt zu einem originären – nicht aus fremdem Vertrag abgeleiteten – Schadensersatzanspruch des Geschädigten.