Rz. 3

Gemäß § 404a ZPO hat das Gericht die Tätigkeit des Sachverständigen zu leiten und ihm für Art und Umfang seiner Tätigkeit Weisungen zu erteilen. Das bedeutet, dass es Sache des Tatrichters ist, dem Sachverständigen die von ihm benötigten Anknüpfungstatsachen vorzugeben.[8] Insbesondere bei streitigen Tatsachen hat das Gericht dem Sachverständigen mitzuteilen, von welchen Tatsachen er bei der Erstattung des Gutachtens auszugehen hat.[9]

 

Rz. 4

In der Praxis kommt es allerdings immer wieder vor, dass die Beweisfrage an den Sachverständigen völlig offen formuliert wird.

Beispiele hierfür sind:

 

Rz. 5

Wie hoch ist der Restwert?

Eine derartige Fragestellung erhebt sich regelmäßig in Verfahren, in denen die Parteien im Rahmen der fiktiven Abrechnung eines Unfallschadens über die Höhe des Restwertes streiten. Wenn der Kläger häufig einen geringen Restwert benennt, behaupten die Beklagten einen höheren. Die richtige Beweisfrage müsste daher, da das Gericht an den Vortrag der Parteien gebunden ist, lauten:

Beträgt der Restwert 1.000,00 EUR oder 3.000,00 EUR?

Ansonsten kann es vorkommen, dass der Sachverständige die Beweisfrage dahingehend beantwortet, der Restwert beträgt nur 500,00 EUR oder beispielsweise 3.500,00 EUR.

 

Rz. 6

Wie hat sich der Unfall ereignet?

Bei dieser Fragestellung entzieht sich das Gericht seiner Aufgabe, einander widersprechende Zeugenaussagen zu bewerten. Welche Zeugenaussage glaubwürdig ist oder nicht, unterliegt primär der Beurteilung des Tatrichters. Er muss seine Beurteilung dem Sachverständigen mitteilen, damit dieser die Auffassung des Gerichts bei der Erstellung des Gutachtens zugrunde legen kann.

Zitat

"Hinzu kommt, daß das Berufungsgericht mehrfach eine Verwendung falscher Anknüpfungstatsachen durch den Sachverständigen als Begründung dafür ansieht, daß dessen Gutachten nicht zu folgen sei. Die Revision weist zu Recht darauf hin, daß es Sache des Tatrichters ist, dem Sachverständigen die von diesem benötigten Anknüpfungstatsachen vorzugeben (vgl. § 404a III ZPO). Soweit der Sachverständige Anknüpfungstatsachen wie medizinische Befunde, Zeugenaussagen oder anderes zugrunde legt, deren Berücksichtigung der Tatrichter – etwa weil unbewiesen oder ­widerlegt – für falsch hält, ist es Sache des Tatrichters, dem Sachverständigen die richtigen Anknüpfungstatsachen an die Hand zu geben und im Wege eines Ergänzungsgutachtens oder der Anhörung des Sachverständigen den aufgrund anderer Anknüpfungstatsachen neuen Sachverhalt oder dessen Auswirkungen auf das Gutachten mit diesem oder einem anderen Sachverständigen vor Schluß der mündlichen Verhandlung zu klären. Der Tatrichter ist ohne eigene Sachkenntnis nicht befugt, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Sachverständigen zu setzen, und darf weder selbst den neuen Sachverhalt sachlich werten, noch das Gutachten des Sachverständigen deshalb ablehnen, weil die anderen Anknüpfungstatsachen die Schlußfolgerung des Sachverständigen nicht mehr tragen würden. Vielmehr fehlt es in einem solchen Falle an einem zu dem vom Tatrichter für richtig gehaltenen Sachverhalt erstatteten Gutachten."[10]

 

Rz. 7

Der Sachverständige kann möglicherweise zu dem Ergebnis kommen, dass sich die vorgefundenen Spuren nicht mit den Zeugenaussagen in Einklang bringen lassen. Dieses muss er dem Gericht mitteilen. Das Gericht wird daraufhin seine Auffassung zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen in der Regel revidieren.

Wenn sich Zeugenaussagen nicht mit den Ausführungen des Sachverständigen vereinbaren lassen, so bedeutet das nicht zwangsläufig, dass der Zeuge unglaubwürdig ist. Vielmehr wird in der Regel die Glaubhaftigkeit der Aussage betroffen sein. Die Glaubhaftigkeit betrifft die Sachdarstellung, während die Glaubwürdigkeit sich auf die Persönlichkeit des Zeugen bezieht.[11]

 

Rz. 8

Bei einer völlig offen gestalteten Beweisfrage obliegt es de facto dem Sachverständigen, den Beweiswert der Aussagen der Zeugen zu beurteilen. Er wird in der Regel nicht schreiben, dass er einen bestimmten Zeugen nicht für glaubwürdig erachtet. Allerdings wird man nicht ausschließen können, dass der Sachverständige diejenigen Zeugenaussagen seiner Bewertung zugrunde legt, die sich seiner Meinung nach am besten mit der von ihm für richtig angesehenen Rekonstruktion decken bzw. übereinstimmen.

 

Rz. 9

Die an den Sachverständigen gerichtete Beweisfrage ist auch dahingehend zu überprüfen, ob der Sachverhalt vom Sachverständigen umfassend aufgeklärt werden soll. Wenn es um einen Unfall geht, bei dem einer Partei eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen wird, ist immer darauf zu achten, dass der Sachverständige auch zur Kausalität zwischen Geschwindigkeitsüberschreitung und Unfall Stellung nehmen soll. Die Beweisfrage darf daher nicht nur lauten:

"Mit welcher Geschwindigkeit ist der Beklagte gefahren?",

sondern es muss auch gefragt werden:

"Hätte er den Unfall bei Einhaltung der höchstzulässigen Geschwindigkeit vermeiden können?"

Es gibt auch Situationen, in denen das Gericht schlichtweg überforde...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?