Rz. 9

Streit oder Ungewissheit muss bestehen und die Bemühungen des Rechtsanwalts müssen der Beseitigung dienen. Wenn nur andere Möglichkeiten zu einer Einigung erwogen werden, auf welche keine der Parteien einen Anspruch hat, entsteht dadurch kein zusätzlicher Wert.

 

Rz. 10

Streit oder Ungewissheit können auf tatsächlichem oder rechtlichem Gebiet liegen; sie beruhen auf objektiven oder subjektiven Zweifeln beider Parteien (oder einer Partei mit Wissen der anderen) über das Ausgangsverhältnis, wobei sich die Zweifel auf alles oder auf einzelne Punkte beziehen können. "Ungewissheit" beruht auf Zweifeln, die die künftige Entwicklung betreffen z.B. die Verwirklichung eines Anspruchs, den Eintritt einer Bedingung, die zukünftige Rechtsentwicklung.[15] "Ungewissheit" ist aber auch die geringere Form des Streits: Die Parteien müssen unterschiedliche Standpunkte haben, müssen aber von ihren Standpunkten nicht überzeugt sein. Ungewissheit über die Rechtslage reicht aus.[16]

 

Rz. 11

Eines aber war stets erforderlich: Die Parteien müssen unterschiedliche Standpunkte eingenommen haben. Dafür muss ein vertraglicher Ausgleich gefunden worden sein.

Im Familienrecht ist es nicht selten, dass die Parteien nicht streiten, sondern nur Inhalt und Umfang ihrer Rechte und Pflichten nicht kennen. Wie sich eine Zugewinnausgleichsforderung und wie sich der Unterhalt berechnet, ist Spezialwissen des Anwalts. Sogar auf einfach scheinenden Gebieten wie der elterlichen Sorge und des Umgangsrechts sind Rechtskenntnisse nicht Allgemeingut. Wenn unter diesen Voraussetzungen der Rechtsanwalt von einer Partei gebeten wird, einen Vertragsentwurf zu erstellen ("machen Sie, wie Sie es sich denken, wir kennen uns ja nicht aus"), ist das Ergebnis, wenn beide unterschreiben, kein Vergleich und keine Einigung im Rechtssinn. Zwar verlangt das Gesetz kein gegenseitiges Nachgeben mehr. Es muss aber weiterhin ein Standpunkt eingenommen worden sein.[17] In diesen Fällen ist die Geschäftsgebühr für den Entwurf eines Vertrages verdient, aber keine Einigungsgebühr. Es gibt weiterhin keine "Regelungsgebühr". Anders ist die Lage, wenn der Mandant den Anwalt um einen Vertragsentwurf bittet, weil "wir uns nicht einigen können". Ein solcher Entwurf ist in Wahrheit ein Einigungsvorschlag. Führt der Vorschlag zum Abschluss, fällt die Einigungsgebühr an. Der BGH[18] hatte über die Einigungsgebühr in einem Fall zu entscheiden, in dem der Anwalt um die Erstellung eines Vertragsentwurfes gebeten wurde. Zur Ungewissheit sagt der BGH, "dass im vorliegenden Fall eine Ungewissheit bestanden hat, … wird durch den … Umstand belegt, dass die Beklagte sich an die Klägerin gewandt hat, weil sie befürchtete, von der Gegenseite "über den Tisch gezogen zu werden". Es werde eine auf das Rechtsverhältnis bezogene Unsicherheit beseitigt; daher habe der Anwalt durch die Erstellung des Vertragsentwurfs an einem Einigungsvertrag i.S.d. Nr. 1000 VV RVG mitgewirkt."

 

Rz. 12

In den Fällen (4) und (5) (s. Rdn 1) liegt eine "Regelung", aber keine Einigung vor, weil es im Fall (4) bereits am Rechtsverhältnis, in beiden Fällen an "Streit" oder "Ungewissheit" fehlt.

[15] Palandt/Sprau, § 779 Rn 4.
[16] AnwK-RVG/Onderka/Schafhausen/Schneider/Thiel, VV 1000 Rn 71; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, VV 1000 Rn 108.
[17] BT-Drucks 15/1971, 174, 201; "… bei jeder vertraglichen Beilegung eines Streits".
[18] BGH AGS 2009, 109 = FamRZ 2009, 324.

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