Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 23
Pflichthaftpflichtversicherungen sind nach § 113 Abs. 1 VVG solche, zu deren Abschluss eine Verpflichtung durch Rechtsvorschrift besteht. Der Schutz des Geschädigten ist ein wesentlicher Bereich der Pflichtversicherung. Dieser erhält einen Direktanspruch gegen den Versicherer, der Versicherer hat die Risiken eines gestörten Versicherungsverhältnisses zu tragen, der Versicherer hat eine Mindestversicherungssumme zu gewährleisten. Ein Direktanspruch besteht in den in § 115 VVG aufgeführten Fällen, nämlich im Falle einer Pflichthaftpflichtversicherung nach § 1 PflVG, im Falle der Insolvenz des VN, der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder der Ablehnung der Insolvenz mangels Masse und im Falle unbekannten Aufenthaltes des VN. Der Geschädigte gewinnt also nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 VVG neben dem insolventen Schädiger einen zusätzlichen insolvenzsicheren Anspruchsgegner; wenn einer der in § 115 VVG genannten Fälle vorliegt.
Nach der zutreffenden Entscheidung des OLG Köln besteht gegenüber der Berufshaftpflichtversicherung eines verstorbenen Arztes ein Direktanspruch nach § 115 Abs. 1 S. 2 VVG auch bei der Eröffnung eines Nachlassinsolvenzverfahrens. Die Schutzwürdigkeit des Geschädigten ist nicht geringer als bei einem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Lebenden.
Rz. 24
Haben VN und Versicherer einen Selbstbehalt vereinbart, beschränkt sich die Verpflichtung des Versicherers gewissermaßen nach unten durch den vereinbarten Selbstbehalt, nach oben durch die Deckungssumme. Folglich trifft das Risiko der Zahlungsunfähigkeit den Geschädigten mindestens in Höhe des Selbstbehaltes. Auch das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Befreiungsanspruch gemäß § 110 VVG besteht nur in Höhe dieses Befreiungsanspruchs. Demgegenüber gilt zum Schutz des Geschädigten im Falle einer Pflichthaftpflichtversicherung der § 114 Abs. 2 S. 2 VVG, wonach ein Selbstbehalt dem Dritten nicht entgegen gehalten werden kann. Der Selbstbehalt entfaltet also dann nur im Innenverhältnis zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer seine Wirkung.
Die berufsrechtliche Verpflichtung zum Abschluss einer Heilwesenhaftpflichtversicherung ist in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In den Bundesländern Bayern, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein besteht nach den Heilberufsgesetzen dieser Länder die zwingende Verpflichtung zum Abschluss einer Heilwesenhaftpflichtversicherung für die Berufsträger der Heilberufe. In sechs anderen Bundesländern finden sich nur entsprechende Ermächtigungen im Sinne einer Kann-Vorschrift, eine solche Versicherungspflicht in den jeweiligen Berufsordnungen festzulegen, also den Satzungen der Kammern. Nur in Baden-Württemberg besteht eine zwingende Anordnung zur Regelung einer Versicherungspflicht in der Berufsordnung nach § 31 Abs. 2 HBKG-BW. Sieht man die Heilberufskammergesetze als eine Rechtsvorschrift i.S.d. § 113 VVG an, besteht die Heilwesenversicherung also in zehn Bundesländern als Pflichtversicherung, in den übrigen sechs Bundesländern als einfache Haftpflichtversicherung. Demnach hängt es von der Kammerzugehörigkeit des Behandlers ab, ob der Geschädigte den Vorteil der §§ 113–124 VVG in Anspruch nehmen kann oder nicht, eine sehr unbefriedigende Regelung. Deshalb hat der GDV auch zu Recht anlässlich der Änderung des Heilberufe-Kammergesetzes Bayern eine einheitliche Regelung in allen Heilberufe-Kammergesetzen der Länder gefordert, der Bundesgesetzgeber hat für den Vertragsarztbereich den § 95e SGB V geschaffen.
Rz. 25
Schon bisher war streitig, ob die in den gesetzlichen Berufsordnungen enthaltene Pflicht zum Abschluss einer Berufshaftpflichtversicherung zu einer Pflichtversicherung im Sinne des VVG führt. Dass die Arzthaftpflichtversicherung auf dem Wege zur Pflichtversicherung im Sinne des VVG ist, ergibt sich jetzt auch aus der Neufassung des § 6 Abs. 1 der BÄO durch Art. 4c des Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten (Patientenrechtegesetz), welches am 26.2.2013 in Kraft getreten ist. Nach § 6 Abs. 1 BÄO kann nunmehr das Ruhen der Approbation auch in dem Fall angeordnet werden, dass
Zitat
"5. sich ergibt, dass der Arzt nicht ausreichend gegen die sich aus seiner Berufsausübung ergebenden Haftpflichtgefahren versichert ist, sofern kraft Landesrechts oder kraft Standesrechts eine Pflicht zur Versicherung besteht."
Es wird abzuwarten sein, wie sich die Ärztekammern dieser neuen Pflicht widmen und welche technischen Möglichkeiten sie ausschöpfen, um die Überwachung des Haftpflichtversicherungsschutzes gewährleisten.
Es ist Aufgabe des Landesgesetzgebers, im Heilwesen und der Gesundheitsfürsorge über den Vertragsarztbereich hinaus Vorschriften über eine Pflichtversicherung zu schaffen.