Prof. Karl-Otto Bergmann, Dr. Carolin Wever
Rz. 152
Die ärztliche Schweigepflicht ist traditionell Bestandteil des ärztlichen Berufsrechts vom hippokratischen Eid bis hin zur Muster-Berufsordnung. Sie ist im allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Patienten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG auch verfassungsrechtlich verankert. Ein Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht ist nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafrechtlich sanktioniert und kann i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB zu einem eigenständigen Schadensersatzanspruch führen. Die gleichzeitige Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht und der vertraglichen Obliegenheiten beinhaltet Konfliktpotential. Die Weitergabe von Tatsachen, die dem Arzt im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit bekannt geworden sind, bedarf grundsätzlich der Einwilligung des Patienten zur Rechtfertigung.
Rz. 153
Die Arzthaftpflichtversicherer tragen dem Rechnung, indem sie vom Patienten eine Schweigepflichtentbindungserklärung einholen, bevor sie von dem Versicherungsnehmer, anderen behandelnden Ärzten oder Gutachtern ärztliche Stellungnahmen einholen. Wenn also ein Patient Schadensersatzansprüche geltend macht, holt zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht nach § 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB regelmäßig der Arzthaftpflichtversicherer über den Anwalt des Patienten die Schweigepflichtentbindungserklärung des Patienten ein, im Weigerungsfalle ist der Arzt zur Wahrung berechtigter Interessen hinsichtlich der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht gerechtfertigt.
Rz. 154
Üblicherweise erteilt der Patient diese Erklärung, da er ein eigenes Interesse an der Sachverhaltsaufklärung und Schadenregulierung hat. Denkbar ist, dass der Patient die Abgabe einer Schweigepflichtentbindungserklärung verweigert und dennoch eine Schadensersatzklage erhebt oder Strafanzeige stellt. Zur Wahrung eigener berechtigter Interessen ist der Arzt nach den Grundsätzen der Güter- und Interessenabwägung aber zur Weitergabe von vertraulichen Patienteninformationen berechtigt, sofern die Offenbarung ein angemessenes Verteidigungsmittel darstellt. Das gilt insbesondere im Strafprozess, aber auch bei Zivilklagen.
Die Erhebung von Gesundheitsdaten außenstehender, vor allem Haftpflichtansprüche geltend machender Patienten, sprich: Geschädigten, richtet sich nach der DS-GVO und dem BDSG.
Rz. 155
Ohne eine Schweigepflichtentbindungserklärung können dem Rechtsanwalt des Patienten auch nicht die Behandlungsunterlagen zur Verfügung gestellt werden. In der Erteilung einer Prozessvollmacht zwecks Herausgabe von Patientenunterlagen liegt noch keine Schweigepflichtsentbindungserklärung.
Rz. 156
Dem Patienten ist gem. § 630g Abs. 1 BGB auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren. Eine Einsichtnahme in die Versicherungsakte mit etwaigen Stellungnahmen des Arztes gegenüber dem Versicherer sieht das Gesetz nicht vor.
Nicht entschieden ist bisher die Frage, ob die auf Antrag nach § 142 Abs. 1 ZPO dem Haftpflichtversicherer als am Arzthaftungsprozess nicht unmittelbar beteiligten Dritten die Herausgabe der Versicherungsakte aufgeben können. Eine solche Ermessensentscheidung setzt voraus, dass ein genügender sachlicher Grund zu einer Vorlegungsanordnung besteht. Einen solchen sachlichen Grund wird man nicht bereits darin sehen können, dass in der Versicherungsakte interne Stellungnahmen des Arztes vermutet werden. Die Beurteilung des Behandlungsgeschehens kann nur auf der Grundlage objektiver Tatsachen erfolgen, die durch die Krankenakte, Zeugenaussagen und im eventuell im Rahmen einer Parteivernehmung ermittelt werden, nicht anhand subjektiver Einschätzungen einer Partei.
Beachte
Teilweise überreichen anwaltlich vertretene Patienten vorgedruckte, unterschriebene Erklärungen, in denen der Arzt nur unter der Bedingung von der Schweigepflicht entbunden wird, dass die eingeholten Stellungnahmen in Kopie dem Anspruchsteller zur Verfügung gestellt werden. In diesem Fall ist der Versicherer gehalten, eine unbedingte Entbindungserklärung zu erhalten. Andernfalls ist eine ungestörte Zusammenarbeit zwischen Versicherer bzw. Prozessbevollmächtigtem und Arzt nicht möglich. Die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eines Beklagten im Arzthaftungsprozess würde so ohne sachlichen Grund unterlaufen. Vor der Weitergabe von Behandlungsunterlagen ohne Einwilligung des Patienten muss aber der erfolglose und dokumentierte Versuch stehen, eine solche Einwilligung zu erhalten. Andernfalls gibt der Arzt dem Patienten im Haftungsprozess nur unnötigerweise ein weiteres Angriffsmittel in die Hand.