Rz. 47

Ein Großteil der obergerichtlichen Entscheidungen zum Umfang der Ermittlungspflicht des Nachlassgerichts betrifft die Frage, ob die Testierfähigkeit des Erblassers genauer geprüft werden muss. Das Gericht darf grundsätzlich von der Testierfähigkeit ausgehen. Die Testierunfähigkeit stellt die Ausnahme dar.[118] Die pauschale Behauptung eines Beteiligten, der Erblasser sei testierunfähig gewesen, begründet keine Ermittlungspflicht des Gerichts, wenn weitere konkrete Anhaltspunkte für eine mangelnde Testierfähigkeit nicht vorhanden sind.[119]

 

Hinweis

Für den Beteiligten, der die Testierfähigkeit des Erblassers in Abrede stellt, empfiehlt es sich, entsprechende Tatsachen vorzutragen und unter Beweis zu stellen, um eine Ermittlungspflicht des Nachlassgerichts auszulösen.

 

Rz. 48

Dabei ist aber zu beachten, dass das Nachlassgericht nicht allen Beweisanträgen der Beteiligten stattgeben und allen denkbaren Möglichkeiten zur Erforschung des Sachverhalts nachgehen muss. Eine Aufklärungspflicht besteht nur insoweit, "als das Vorbringen der Beteiligten und der festgestellte Sachverhalt bei sorgfältiger Überlegung hierzu Anlass geben."[120] Von weiteren Ermittlungen, die ein sachdienliches, die Entscheidung beeinflussendes Ergebnis nicht erwarten lassen, kann das Gericht absehen.[121] Die Beteiligten sind auch im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes zur Mitwirkung verpflichtet, § 27 FamFG, wobei sich die "Darlegungslast" in dem Maße erhöht, in dem das Gericht auf die Mitwirkung angewiesen ist.[122] Dies gilt insbesondere für den Beweis von Vorgängen im höchstpersönlichen Lebensbereich.[123]

Von der Frage nach dem "ob" weiterer Ermittlungen, ist die Frage zu unterscheiden, "wie" diese durchzuführen sind, insbesondere wann das Gericht verpflichtet ist, ein psychiatrisches Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben.[124] Wird die Testierfähigkeit in Zweifel gezogen, so hat das Nachlassgericht zunächst die Tatsachen zu ermitteln, die für die Annahme, dass Testierunfähigkeit vorgelegen habe, geeignet sein können, bevor es darüber entscheidet, ob es einen medizinischen Sachverständigen beauftragt.[125]

Wird ein entsprechendes Gutachten zur Beurteilung der Testierfähigkeit eingeholt, bietet es nur dann eine brauchbare Grundlage für eine abschließende Überzeugungsbildung, wenn in die Gesamtbeurteilung des Sachverständigen die Aussagen aller vom Gericht vernommenen Zeugen Eingang gefunden haben.[126] Der Tatrichter muss dabei Einwendungen gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen, die sich auf ein Privatgutachten gründen, nachgehen und zum Anlass nehmen, den Sachverhalt weiter aufzuklären.[127]

 

Rz. 49

 

Beispiele

Rechtsprechung zur Notwendigkeit von Sachverständigengutachten:

OLG Bamberg ZErb 2012, 212

Nur bei Vorliegen von konkreten Anhaltspunkten, die Anlass zu Zweifeln an der Testierfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt der Testamentserrichtung geben, ist die Hinzuziehung eines psychiatrischen Sachverständigen erforderlich. Allein der Umstand, dass der Erblasser sich im fortgeschrittenen Stadium einer Krebserkrankung befunden hat, stellt keinen solchen Anhaltspunkt dar.

OLG Düsseldorf NJW-RR 2012, 1100

Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung seiner letztwilligen Verfügung können Anlass zur Einholung des Gutachtens eines psychiatrischen oder nervenfachärztlichen Sachverständigen nur dann geben, wenn sie aus objektivierbaren Tatsachen oder Hilfstatsachen (nicht: Vermutungen und Wahrscheinlichkeitsurteilen für mögliche Krankheitsbilder ohne Anknüpfung an auffälliges symptomatisches Verhalten des Erblassers im zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung) herzuleiten sind.

OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 15.10.2014 – 20 W 251/14 = FamRZ 2015, 2090

Bei der Vorlage eines eigenhändigen Testaments erst zwanzig Jahre nach dem Todesfall sind im Erbscheinerteilungsverfahren ohne weitergehende konkrete Anhaltspunkte für eine Fälschung i.d.R. keine Ermittlungen zur Urheberschaft des Erblassers durch Einholung des Gutachtens eines Schriftsachverständigen erforderlich, wenn die eigenhändige Errichtung der Urkunde durch den Erblasser anderweitig nachvollziehbar belegt ist.

[118] OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1159; OLG Köln NJW-RR 1994, 396.
[120] BayObLG FamRZ 1999, 819; 1998, 1242; 1996, 1109; OLG Frankfurt Rpfleger 1998; 291.
[121] BayObLGZ 1995, 383.
[122] OLG Düsseldorf NJW-RR 2013, 782.
[123] BayObLG FamRZ 1998, 1242 zur Würdigung sich widersprechender Personenstandsurkunden, die im Rahmen der Vertreibung von Rußlanddeutschen in den Kriegs- und Nachkriegsjahren erstellt wurden.
[125] BayObLG NJW-RR 1990, 1419.

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