Leitsatz (amtlich)
Zweifel an der Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung seiner letztwilligen Verfügung können Anlass zur Einholung des Gutachtens eines psychiatrischen oder nervenfachärztlichen Sachverständigen nur dann geben, wenn sie aus objektivierbaren Tatsachen oder Hilfstatsachen (nicht: Vermutungen und Wahrscheinlichkeitsurteilen für mögliche Krankheitsbilder ohne Anknüpfung an auffälliges symptomatisches Verhalten des Erblassers im zeitlichen Zusammenhang mit der Testamentserrichtung) herzuleiten sind.
Normenkette
BGB § 2229 Abs. 4, § 2353; FamFG § 26
Verfahrensgang
AG Kleve (Aktenzeichen 17 VI 117/11) |
Tenor
Das Rechtsmittel des Beteiligten zu 2 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 100.000 EUR.
Gründe
I. Der am 3.1.2011 verstorbene Erblasser war geschieden; er hatte keine Kinder und keine Geschwister.
Der Erblasser errichtete am 12.10.2010 im Wilhelm-Anton-Hospital in Goch zu Urkundenrolle Nr. 1204/2010 des Notar Dr. P. ein Testament, in dem er die Beteiligte zu 1, die Nichte seiner geschiedenen Ehefrau, zur Alleinerbin einsetzte.
Der Notar nahm hierzu folgende eigene Erklärung auf:
"Der Notar überzeugte sich durch die Verhandlung von der Geschäftsfähigkeit des Erschienenen. Dieser war zwar durch Krankheit geschwächt, jedoch in der Lage, die Bedeutung der getroffenen Regelungen zu erkennen und dieser Einsicht gemäß seine Entschlüsse frei von Beeinflussungen Dritter zu fassen und zu äußern. Der Erschienene ist nach Überzeugung des Notars voll geschäfts- und testierfähig."
Die Beteiligte zu 1 hat am 01./8.3.2011 beantragt, ihr einen sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweisenden Erbschein zu erteilen.
Der Beteiligte zu 2, ein Cousin des Erblassers (die verstorbenen Mütter des Erblassers und des Beteiligten zu 2 waren Schwestern; der Beteiligte zu 2 hat noch eine Schwester), ist dem Antrag entgegen getreten und hat geltend gemacht, er habe jahrelang darauf vertraut, dass ihm bzw. seinen Kindern das Erbe zufallen werde; der Erblasser und seine verstorbene Mutter hätten immer wieder geäußert, er solle sich keine Gedanken machen, er würde doch alles bekommen.
In diesem Zusammenhang bezweifelt der Beteiligte zu 2 die Testierfähigkeit des Erblassers zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments und trägt hierzu vor, der Erblasser sei sich wohl von ihm verlassen vorgekommen, weil er sich nicht mehr bei ihm, dem Erblasser, gemeldet habe. Dies beruhe darauf, dass der Erblasser ihm in einem Telefonat am 8.6.2010 gesagt habe, dass er im Juli/August 2010 in sein Ferienhaus nach Spanien gehen wolle; weil er den Erblasser in Spanien gewähnt habe, habe er ihn weder angerufen noch besucht. Überdies sei der Erblasser aufgrund seiner Krebserkrankung wie auch wegen des Todes seiner Mutter depressiv und leicht beeinflussbar gewesen. Durch die für die Krebserkrankung erforderlichen Medikamente und die lange Behandlungsdauer habe sich seine Psyche und Emotionalität negativ entwickelt. Er habe Dinge getan, die einfach nicht zu einem ruhigen und besonnenen Menschen wie dem Erblasser passen würden. So passe es nicht in das Bild, dass der Erblasser zugunsten der Beteiligten zu 1 "alle Fäden aus der Hand gegeben habe". Insgesamt sei das Handeln des Erblassers von Fehleinschätzungen geprägt gewesen, die zeigten, dass er geistig nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Folgen seines Handelns einzusehen sowie seinen gesundheitlichen Zustand einzuordnen. Insofern sei der Erblasser auch von der Beteiligten zu 1 sowie seiner geschiedenen Ehefrau manipuliert worden.
Die Beteiligte zu 1 macht geltend, der Erblasser sei geschäfts- und testierfähig gewesen. Das Testament habe er vor dem Hintergrund seiner Krebserkrankung errichtet. Ebenfalls vor dem Hintergrund der Krebserkrankung sei ihr, der Beteiligten zu 1, die notarielle Generalvollmacht vom 24.8.2010 erteilt worden. Auf Anraten seiner geschiedenen Ehefrau habe der Erblasser sie, die Beteiligte zu 1, die Nichte seiner geschiedenen Ehefrau und Angestellte in der Arztpraxis, in der seine Mutter behandelt wurde, darauf angesprochen, ob sie bereit wäre, sich um ihn und seine Belange zu kümmern, wenn es ihm irgendwann so schlecht gehe, dass er dies selbst nicht mehr könne. Am Tag der Erteilung der Generalvollmacht habe er auch erstmals mit dem Notar über die Errichtung des Testaments gesprochen.
Was den Krankenhausaufenthalt zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments anbelange, so habe der Erblasser das Krankenhaus bereits fünf Tage nach Beurkundung des Testaments wieder verlassen können.
Das AG - Nachlassgericht - hat nach Anhörung der Beteiligten im Termin 7.6.2011 mit Beschluss vom 4.7.2011 die Tatsachen, die zur Erteilung des von der Beteiligten zu 1 beantragten Erbscheins Antrags erforderlich sind, für festgestellt erachtet.
Zur Begründung hat das Nachlassgericht ausgeführt, die Beteiligte zu 1 sei aufgrund des notariellen Testaments vom 12.10.2010 Alleinerbin nach dem Erblasser geworden. Das Testament sei wirksam von dem Erblasser erri...