Dr. iur. Kerstin Diercks-Harms, Dr. iur. Rüdiger Brodhun
Rz. 22
Der Wert der Beschwer muss – wenn die Berufung nicht zugelassen wird – zum Zeitpunkt der Berufungseinlegung 600,00 EUR übersteigen, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Das Urteil muss den Mandanten also mit mehr als 600,00 EUR belasten, und der Mandant muss mit dem Rechtsmittel auch einen entsprechenden Betrag angreifen. Zwar sieht § 511 Abs. 3 ZPO vor, dass der Wert der Beschwer vom Berufungskläger glaubhaft zu machen ist, jedoch ist bei einem bezifferten Klageantrag eine Glaubhaftmachung nicht erforderlich, im Übrigen reicht eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Wertfestsetzung aus. Die Wertberechnung erfolgt nach §§ 2 ff. ZPO. Ergänzend kann § 45 GKG analog herangezogen werden. Das Berufungsgericht ist für die Beurteilung des Wertes der Beschwer zuständig und setzt den Berufungsstreitwert fest. Beschwer und Wert des Beschwerdegegenstandes können sich mit dem Streitwert der ersten Instanz decken oder hinter ihm zurückbleiben, aber grundsätzlich nicht höher sein als dieser.
Rz. 23
Handelt es sich um ein Schmerzensgeld, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung für die Beschwer des Rechtsmittelklägers nicht der angemessene Schmerzensgeldbetrag, der im Rahmen eines unbezifferten Klageantrags in das Ermessen des Gerichts gestellt wurde, sondern die vom Kläger geäußerte Größenvorstellung maßgebend.
Rz. 24
Problematisch wird die Festsetzung des Werts des Berufungsgegenstandes ferner, soweit der Kläger mit seiner Auskunftsklage abgewiesen worden ist oder sich der Beklagte gegen seine Verurteilung zur Auskunftserteilung wenden will. Der Wert ist bei einer Auskunftsklage vom Berufungsgericht nach freiem Ermessen festzusetzen, § 3 ZPO. Auch wenn regelmäßig der Aufwand an Zeit und Kosten maßgebend ist, den die Auskunftserteilung verursacht, kann das Berufungsgericht den Wert auf unter 600,00 EUR (vielfach wird ein Wert von 500,00 EUR angenommen) festsetzen und damit bewirken, dass eine Berufung unzulässig ist. Dem Berufungskläger bleibt dann nur noch die Möglichkeit, die Berufung zurückzunehmen. Theoretisch kann das Revisionsgericht prüfen, ob das Berufungsgericht maßgebende Tatsachen nicht berücksichtigt hat oder die Fragepflicht gemäß § 139 ZPO verletzt hat, sodass ein ungesetzlicher Gebrauch des Ermessens vorgelegen hat. Realistische Erfolgsaussichten bestehen jedoch nicht.
Rz. 25
Beschwert ist die Partei, wenn sie durch die Entscheidung nachteilig betroffen ist. Eine materielle Beschwer reicht aus. Diese ist gegeben, wenn sich aus dem Tenor für die Partei inhaltliche Rechtsnachteile ergeben.
Rz. 26
Sieht sich der Mandant dadurch beschwert, dass er die Kosten oder einen entscheidenden Teil davon zu tragen hat, ist er darauf hinzuweisen, dass eine Berufung mit dem alleinigen Ziel einer Abänderung der Kostenentscheidung nicht möglich ist, § 99 Abs. 1 ZPO. Dem Mandanten bleibt nur die Möglichkeit, Berufung gegen die Hauptsacheentscheidung einzulegen, weil damit auch die Kostenentscheidung überprüft wird, § 308 Abs. 2 ZPO.
Rz. 27
Ein Streitgenosse muss selbst beschwert sein, um Berufung einlegen zu können. Ein Streithelfer ist nicht selbst beschwert. Bei ihm ist auf eine etwaige Beschwer der Partei abzustellen, welche er unterstützt.
Rz. 28
Alternativ kann das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung im Urteil zulassen, § 511 Abs. 2 ZPO, was jedoch äußerst selten der Fall ist. Wenn Anlass dazu besteht, z.B. bei grundsätzlicher Bedeutung in einer nicht berufungsfähigen Angelegenheit, kann der Rechtsanwalt aber auch explizit beantragen, dass die Berufung zugelassen wird. Geht das Erstgericht von einem Streitwert von über 600,00 EUR aus, und entscheidet deshalb nicht über eine etwaige Zulassung der Berufung, muss eine diesbezügliche Entscheidung vom Berufungsgericht nachgeholt werden, wenn der Wert unter der "Erwachsenheitssumme" liegt. Dazu hat der BGH in ständiger Rechtsprechung entschieden:
Zitat
"Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs […] ist das Beschwerdegericht allerdings berechtigt und verpflichtet, eine Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde nachzuholen, wenn das erstinstanzliche Gericht keine Veranlassung zu einer solchen Entscheidung gesehen hat, weil es erkennbar davon ausgegangen ist, dass die Beschwer des unterlegenen Beteiligten 600,00 EUR übersteigt, während das Beschwerdegericht demgegenüber eine ausreichende Beschwer nicht für erreicht hält."