Birgit Eulberg, Michael Ott-Eulberg
Rz. 18
Es darf nicht feststehen, dass ein bekannter Erbe die Erbschaft angenommen hat. Für die Voraussetzung der Unbekanntheit des Erben kommt es lediglich auf die Kenntnis des Nachlassgerichts an. Der Erbe ist unbekannt, wenn das Nachlassgericht Folgendes nicht feststellen kann:
▪ |
die Berufung einer Person zum Erben, |
▪ |
die Erbfähigkeit einer Person bzw. |
▪ |
die gleichzeitige Existenz einer Person mit dem Erblasser (d.h. die Person muss den Erbfall erleben, d.h. wiederum, sie muss geboren – nasciturus – bzw. darf noch nicht verstorben sein, so z.B., wenn noch ein Verfahren auf gerichtliche Feststellung einer Vaterschaft des Erblassers betrieben wird, sofern für die Vaterschaft eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht). |
Rz. 19
Der Erbe ist weiter unbekannt, wenn beispielsweise:
▪ |
die Erbfolge nur durch längere Ermittlungen geklärt werden kann; |
▪ |
die Größe der Erbteile ungewiss ist; |
▪ |
ungewiss ist, ob ein Testament vorhanden ist; |
▪ |
ungewiss ist, ob der Erblasser zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung testierunfähig war; |
▪ |
ungewiss ist, ob das Testament sittenwidrig ist; |
▪ |
das Nachlassgericht von der Berufung der Person zum Erben keine Kenntnis hat; |
▪ |
mehrere Personen sich um das Erbrecht streiten; |
▪ |
mehrere Testamente vorliegen, aber ungewiss ist, welches davon gültig ist; |
▪ |
eine Anfechtung der letztwilligen Verfügung erst durch längere Erhebung auf deren Wirksamkeit hin überprüft werden muss; |
▪ |
das Nachlassgericht sich nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, weil Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Wirksamkeit der letztwilligen Verfügung besteht und die hierfür erforderlichen Ermittlungen nicht bereits im Verfahren über die Anordnung der Nachlasspflegschaft durchgeführt werden können. |
Rz. 20
Die wesentlichen Leitsätze aus der hierzu ergangenen Entscheidung, die auch grundsätzlich für sämtliche Fälle der Nachlasssicherung ist, lauten:
“(1) Es besteht Anlass zur Bestellung eines Nachlasspflegers. Die Testierfähigkeit der Erblasserin bei Errichtung des Testaments ist angesichts der widersprüchlichen Angaben des beurkundenden Notars und des Hausarztes der Erblasserin einerseits, der im Betreuungsverfahren vernommenen Zeugen andererseits, zweifelhaft. Eine Aufklärung dieser Frage durch weitere Ermittlungen kann erwartet werden und wegen dieser Unklarheit kann derzeit noch nicht gesagt werden, ob die testamentarische oder gesetzliche Erbfolge gegeben ist. Da niemand vorhanden war, der das Vermögen erhalten und sichern konnte, hat das Nachlassgericht zu Recht einen Nachlasspfleger für die unbekannten Erben bestellt.
(2) Gem. § 1960 Abs. 1 und 2 BGB kann das Nachlassgericht dem unbekannten Erben einen Nachlasspfleger bestellen, soweit hierfür ein Bedürfnis besteht. Ob der Erbe "unbekannt" ist und ob ein Fürsorgebedürfnis besteht, ist vom Standpunkt des Nachlassgerichts bzw. des im Beschwerdeverfahren an seine Stelle tretenden Beschwerdegerichts aus zu beurteilen, wobei der Kenntnisstand im Zeitpunkt der Entscheidung über die Sicherungsmaßnahme maßgebend ist. Es entspricht allgemeiner Meinung, dass der Erbe auch dann unbekannt ist, wenn mehrere Erben in Betracht kommen und sich der Tatrichter nicht ohne weitere umfangreiche Ermittlungen davon überzeugen kann, wer Erbe ist, weil Streit über die Testierfähigkeit des Erblassers und damit über die Gültigkeit eines Testaments besteht. Und zwar,
▪ |
wenn fraglich ist, ob ein Berufener den Erblasser überlebt hat; |
▪ |
wenn die Erbunwürdigkeitsklage gem. § 2342 BGB erhoben ist; |
▪ |
wenn vom Standpunkt des Nachlassgerichts aus erhebliche Zweifel bestehen, wer von mehreren Erbprätendenten der wahre Erbe ist. |
Von eigenen umfangreichen oder zeitraubenden tatsächlichen Ermittlungen seitens des Antragstellers zur Feststellung des wahren Erben darf die Anordnung nach § 1960 BGB wegen des Sicherungszwecks der Vorschrift nicht abhängig gemacht werden.“
Rz. 21
Bei der Frage der Anordnung einer Nachlasspflegschaft hat das Gericht selbstständig zu prüfen, ob tatsächlich Ungewissheit über die Erbenstellung einer Person besteht oder nicht. Ein Hinweis auf anhängige gerichtliche Auseinandersetzungen ist allein nicht ausreichend.