Dr. Wolfgang Kürschner, Karl-Hermann Zoll
Rz. 35
Die Ausgestaltung des haftpflichtrechtlichen Schadensersatzrechtes in §§ 823 ff. BGB einerseits und in zahlreichen Sondergesetzen andererseits, teilweise mit verschiedenen Regelungen zur Höhe der Schadensersatzverpflichtung, lässt sich systematisch als Bereich gesetzlicher Ansprüche umschreiben. Dem wird üblicherweise gegenübergestellt die Gruppe von Ansprüchen aus Vertrag. Die Verletzung von Vertragspflichten stellt als solche keine unerlaubte Handlung dar. Schuldhafte Vertragspflichtverletzungen können aber zugleich den Tatbestand der §§ 823 ff. BGB erfüllen und eine Haftung nach den für diese maßgeblichen Rechtssätzen begründen. Der Vertrag verstärkt die allgemeine Rechtspflicht, deren Verletzung eine unerlaubte Handlung darstellt, beseitigt sie aber nicht. Vertragliche und deliktische Ansprüche sind nach Voraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich selbstständig zu beurteilen, doch gibt es Wechselwirkungen. Ein Arzt, der einen Behandlungsfehler begeht, verletzt nicht nur seine Vertragspflichten gegenüber dem Patienten, sondern begeht auch eine unerlaubte Handlung. Das Gleiche gilt für eine Gemeinde, die gesundheitsschädliches Wasser liefert. Ein Verletzter kann nach seiner Wahl aus Vertrag oder unerlaubter Handlung vorgehen. Dies ist praktisch bedeutsam im Hinblick auf die verschiedene Haftung für Hilfspersonen (§ 278 BGB bei Vertrag, § 831 BGB bei unerlaubter Handlung). Für Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gilt auch dann die Verjährungsfrist des BGB wenn sie mit Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung vertraglicher Pflichten, die aufgrund besonderer gesetzlicher Regelungen in kürzerer Zeit verjähren, zusammen treffen. Soweit keine spezifischen gesetzlichen Regelungen bestehen, gilt allerdings sowohl für deliktische Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB als auch für Ansprüche aus § 280 Abs. 1 BGB die regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB.
Rz. 36
Ein Verkäufer, der nicht nur seine Vertragspflichten, sondern auch seine gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Verkehrspflichten verletzt und daher unter Umständen auch Dritten gegenüber ersatzpflichtig werden kann, darf nicht gegenüber denjenigen Opfern privilegiert werden, die mit ihm einen Kaufvertrag geschlossen haben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn und soweit die Befugnis des Geschädigten, nach Verjährung vertraglicher Schadensersatzansprüche auf die aus demselben Sachverhalt hergeleiteten deliktischen Ansprüche ausweichen zu können, den Zweck der besonders kurz bemessenen vertraglichen Verjährungsfristen vereiteln und die gesetzliche Regelung im Ergebnis aushöhlen würde. Bei der Anspruchskonkurrenz zwischen Kaufvertrags- und Deliktshaftung liegen diese Besonderheiten jedoch im Allgemeinen nicht vor. Denn beim Kaufvertrag deckt sich die durch Sachmängel oder infolge einer positiven Vertragsverletzung des Verkäufers enttäuschte Vertragserwartung grundsätzlich nicht mit dem durch § 823 Abs. 1 BGB geschützten Integritätsinteresse des Käufers. Der Bundesgerichtshof hat jedoch in einem Falle, in dem ein Käufer geltend machte, vom Verkäufer mangelhafte Blumenerde erhalten zu haben, die bei den Primeljungpflanzen des Käufers zu starken Wachstumshemmungen geführt habe, ausnahmsweise das Integritätsinteresse des Klägers als völlig deckungsgleich mit seinem Äquivalenzinteresse erachtet. In einem solchen Falle werde daher § 852 BGB a.F. durch § 477 BGB a.F. verdrängt.
Rz. 37
Anspruchskonkurrenz unter mehreren gesetzlichen Ansprüchen bedeutet nicht, dass es sich um mehrere nebeneinander bestehende Ansprüche handelt. Der Anspruch selbst bleibt ein einheitlicher; der Kläger kann und braucht diesen Anspruch nicht in Einzelansprüche etwa nach BGB und nach StVG aufzuteilen. Teilansprüche nach der Rechtsgrundlage sind indessen denkbar. Der Kläger kann lediglich den einheitlichen Anspruch insoweit, als er nach den beiden Rechtsgrundlagen begründet ist, auf beide stützen, im Übrigen aber nur auf diejenige Rechtsgrundlage, die den betreffenden Anspruch zulässt. Ist die Vertragshaftung auf grobe Fahrlässigkeit begrenzt, so gilt dies im Zweifel auch für den deliktischen Anspruch. Soweit der Anspruch dem Grunde nach sowohl wegen unerlaubter Handlung, als auch aus Vertrag, wie auch aus Sondergesetzen besteht, kann der Gläubiger nur einmal Erfüllung verlangen. Verfahrensrechtlich folgt daraus, dass das Gericht im Urteil, soweit es der Klage stattgibt, sich darauf beschränken kann, den Tatbestand einer Anspruchsgrundlage festzustellen. Lediglich dann, wenn die zunächst geprüfte Rechtsgrundlage entweder in tatsächlicher Beziehung nicht erweisbar ist oder aber der Höhe nach infolge gesetzlicher Haftungsbeschränkungen die Klageforderung nicht voll deckt, muss das Gericht seine Prüfung auf weitere etwa in Betracht kommende Rechtsgrundlagen erstrecken.