Dr. Michael Nugel, Dipl.-Ing. André Schrickel
Rz. 109
Der Begriff des "Obergutachtens" wird in der Praxis häufig fehlerhaft dafür verwendet, dass eine Partei die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt. Zutreffend wird der Begriff des Obergutachtens jedoch (nur) für den Fall verwendet, dass in derselben Sache zwei auf gerichtliche Anordnung hin erstattete Gutachten zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen, so dass nunmehr durch ein drittes Gutachten die Widersprüche der beiden Gutachten aufgeklärt werden sollen.
Vor Einholung eines solchen weiteren Gutachtens eines neu bestellten Sachverständigen muss seitens des Gerichts zuvor durch Anhörung der Sachverständigen gem. § 411 Abs. 3 ZPO versucht werden, die Widersprüche aufzuklären, wobei insbesondere ein besonderes Augenmerk auf die Frage zu legen ist, ob beide Sachverständigen von derselben Tatsachengrundlage ausgegangen sind, denn nur dann liegt überhaupt ein tatsächlicher Widerspruch zwischen den Sachverständigen vor.
Auch bei zwei sich widersprechenden Gutachten ist das Gericht jedoch nicht gezwungen, ein Obergutachten einzuholen, sondern der Tatrichter kann nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung gem. § 286 ZPO eine Würdigung beider Gutachten vornehmen und sich im Ergebnis einem von beiden anschließen. Hierfür bedarf es jedoch einer entsprechenden ausreichenden Begründung, da sich das Gericht somit im Ergebnis aus eigener Beurteilung heraus über die Feststellungen eines Sachverständigen hinwegsetzt.
Rz. 110
Abzugrenzen hiervon ist der Antrag einer Partei auf Einholung eines neuen Gutachtens. Dies kann das Gericht nach § 412 Abs. 1 ZPO dann anordnen, wenn es das Gutachten für ungenügend erachtet. Ein solcher Antrag kann insbesondere dann erforderlich sein, wenn ein Sachverständiger weder in seinem Gutachten, noch im Rahmen einer ergänzenden Begutachtung die aufgeworfenen Beweisfragen (hinreichend) beantwortet oder sich mit den Einwendungen der Parteien nicht auseinandersetzt.
Rz. 111
Muster 12.12: Antrag auf Einholung eines neuen Gutachtens
Muster 12.12: Antrag auf Einholung eines neuen Gutachtens
Beantragen wir,
gem. § 412 Abs. 1 ZPO eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anzuordnen.
Begründung
Gem. § 412 Abs. 1 ZPO kann das Gericht eine neue Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen anordnen, wenn es das vorliegende Gutachten für ungenügend erachtet. Ein Gutachten ist insbesondere dann ungenügend, wenn es unvollständig, widersprüchlich oder inhaltlich nicht überzeugend ist, so dass die Beweisfragen nicht hinreichend beantwortet werden. Ein ungenügendes Gutachten liegt ferner dann vor, wenn es bereits von unzutreffenden Anschlusstatsachen ausgeht oder der Sachverständige schlicht und einfach nicht die erforderliche Sachkunde besitzt, um die gestellten Beweisfragen zu beantworten.
Hierbei sind auch die substantiierten Einwendungen einer Partei gegen das Gutachten oder die Person des Sachverständigen zu berücksichtigen, insbesondere wenn sie aufgrund eines vorgelegten Privatgutachtens erhoben werden (grundlegend BGH, Urt. v. 6.3.1986 – III ZR 245/84 = NJW 1986, 1928; vgl. auch BGH, Beschl. v. 18.5.2009 – IV ZR 57/08 = NJW-RR 2009, 1192).
Vorliegend _________________________