Rz. 133
Anders als bei einem Arbeitnehmer, dessen voraussichtliche Bezüge in der Regel unschwer zu ermitteln sind, ist es im Rahmen der Feststellung des Erwerbsschadens eines Selbstständigen weitaus schwieriger, die voraussichtliche konkrete Entwicklung des Unternehmens ohne den Unfall, auf die es ankommt, zutreffend zu beurteilen. Die negative Einkommensentwicklung nach dem Schadensereignis ist möglicherweise (auch) durch unfallunabhängige innerbetriebliche oder außerbetriebliche Umstände verursacht. Behauptet wird oft, dass (auch ohne Gewinnminderung) ein Erwerbsschaden eingetreten sei, weil ohne den Schadensfall zu erwartende Gewinnsteigerungen ausgeblieben seien. Der Erwerbsschaden kann auch zeitlich nach Wiederherstellung der Arbeitskraft eingetreten sein, etwa wenn ein Anwalt während der Arbeitsunfähigkeit Mandanten verloren hat. All dies ist konkret darzulegen und ggf. zu beweisen; erforderlich ist die schlüssige Darlegung von Ausgangs- bzw. Anknüpfungstatsachen. Es bedarf also der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für die Schadensermittlung, um eine ausreichende Grundlage für die Wahrscheinlichkeitsprognose des § 252 BGB und in der Folge für eine gerichtliche Schadensschätzung nach § 287 ZPO zu haben, weil sich der Ausfall oder die Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit sichtbar im Erwerbsergebnis konkret ausgewirkt haben muss. Trotz der erleichterten Darlegung und Beweisführung durch § 287 ZPO, § 252 BGB und der Tatsache, dass an die schwierige Darlegung der hypothetischen Entwicklung des Geschäftsbetriebs eines Selbstständigen keine zu strengen Maßstäbe angelegt werden dürfen, ist es nicht ungewöhnlich, wenn die Klage eines Selbstständigen wegen unzureichender Darlegung oder Beweisführung abgewiesen wird. Denn die genannten Vorschriften lassen eine völlig abstrakte Berechnung eines Erwerbsschadens, auch in Form der Schätzung eines "Mindestschadens" nicht zu.
Rz. 134
In diesen Fällen ist es besonders wichtig, dass dem Geschädigten die Beweiserleichterungen aus § 252 S. 2 BGB und § 287 Abs. 1 ZPO zu Hilfe kommen. Nach § 252 S. 2 BGB gilt der Gewinn als entgangen, welcher nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Da die Darlegungs- und Beweislast in diesem Fall einander entsprechen, mindert die Beweiserleichterung auch die Darlegungslast des Verletzten, der Ersatz seines entgangenen Gewinns begehrt. Hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schadensereignis und Schaden wie auch hinsichtlich der Höhe des Schadens im Einzelnen gilt nicht der strenge Beweismaßstab des § 286 ZPO, sondern kommt dem Geschädigten die Beweiserleichterung nach § 287 ZPO zugute, die den Richter freier stellt, aber auch die Darlegungslast des Geschädigten erleichtert. Die Klage darf nicht wegen lückenhaften Vortrags zur Schadensentstehung und Schadenshöhe abgewiesen werden, solange greifbare Anhaltspunkte für eine Schadensschätzung vorhanden sind (vgl. näher § 2 Rdn 188 ff., oben Rdn 33 ff.). Die Ansicht des OLG München, eine Schätzung des einem Selbstständigen entgangenen Gewinns könne nicht allein aufgrund bestimmter Umsatzausfälle erfolgen, sondern erfordere als Anknüpfungstatsache die Darlegung der abzuziehenden Kosten, ist materiellrechtlich sicher richtig. Doch dürfte eine Abweisung der Klage aus diesem Grund nur erfolgen, wenn auf einen Hinweis des Gerichts kein ausreichender Vortrag erfolgt.
Rz. 135
Auch im Rahmen der Schadensermittlung auf Grundlage von § 252 S. 2 BGB, § 287 ZPO ist allerdings eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens nicht zulässig, vielmehr bedarf es auch hier der Darlegung konkreter Anhaltspunkte für den entstandenen Schaden. Denn die Schätzung soll auch im Rahmen des § 287 ZPO möglichst nahe an die Wirklichkeit heranführen. Der Richter darf zur Schätzung nicht ohne tragfähige Grundlage und Sachkunde greifen. Der Klägervortrag muss umfassend gewürdigt werden. Es ist dabei Sache des Geschädigten, möglichst viele konkrete Tatsachen dafür vorzutragen, wie sich voraussichtlich die geschäftliche Situation seines Unternehmens und die Gewinnlage ohne den Unfall in der Zukunft entwickelt hätten.
Rz. 136
Nicht ausreichend ist etwa die bloße Darstellung von Umsatzverlusten; denn daraus ergibt sich nichts für einen entgangenen Gewinn bzw. dessen Höhe. Der Gewinn kann trotz steigender Umsätze fallen und umgekehrt. Auch reicht allein die Vorlage einer Bilanz nicht aus. Doch können Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen aus Zeitabschnitten vor dem Schadensereignis im Zusammenhang mit weiterem Vortrag durchaus Anhaltspunkte bieten, da die Geschäftsentwicklung in den Jahren vor dem Unfall mögliche Anknüpfungspunkte für die Prognose liefern kann. Allgemeine Regeln darüber, welcher Zeitraum vor dem Unfall als Grundlage der Prognose für die künftige (hypothetische) Geschäftsentwicklung heranzuziehen ist, lassen sich nicht aufstellen; ...