Rz. 409
Die Definition des Versicherungsfalls "in allen anderen Fällen", also für sämtliche Leistungsarten des § 2 ARB mit Ausnahme von § 2 a und k ARB, findet sich in § 4 Abs. 1 c ARB: Der Versicherungsfall ist der Zeitpunkt, in welchem der Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder begangen haben soll. Diese Regelung ist mit der des § 14 Abs. 3 S. 1 ARB 75 identisch. Es kommt auf den Zeitpunkt des Rechtsverstoßes an, der entweder dem Versicherungsnehmer vorgeworfen wird oder den er dem Gegner oder einem sonstigen Dritten vorwirft. Ein Versicherungsfall liegt bereits vor, wenn ein solcher Verstoß lediglich behauptet wird, selbst wenn er sich später als nicht gegeben erweist.
Rz. 410
Der Versicherungsfall gem. § 4 Abs. 1 c S. 1 ARB gilt vor allem für die Streitfälle aus dem Bereich des Vertrags- sowie des Straf- und Ordnungswidrigkeiten-Rechtsschutzes.
Rz. 411
Als Rechtsverstoß kommt zunächst das Handeln gegen eine gesetzliche oder vertragliche Rechtspflicht in Betracht, ebenso das Unterlassen eines rechtlich gebotenen Tuns. Auch das Bestreiten einer Rechtsposition oder der unberechtigte Vorwurf eines Rechtsverstoßes können bereits einen Rechtsverstoß darstellen, nicht jedoch die ledigliche Ausübung eines Gestaltungsrechts (z.B. vertragliches Rücktrittsrecht oder Kündigung), solange keine Vertragswidrigkeit behauptet wird. Der (behauptete) Rechtsverstoß muss den Streit adäquat kausal (mit) ausgelöst haben, d.h. den Keim des späteren Rechtskonflikts bereits insofern "in sich getragen" haben, als der Rechtsstreit jedenfalls latent vorhanden und damit gewissermaßen "vorprogrammiert" war.
Rz. 412
Grundsätzlich kommt hier – anders als beim Versicherungsfall im Schadensersatz-Rechtsschutz – bei der Geltendmachung von Ansprüchen durch den Versicherungsnehmer (Aktivprozess) auch ein vorangegangener eigener Verstoß des Versicherungsnehmers in Betracht.
Rz. 413
Beispiel
Kündigt der Vermieter wegen vertragswidrigen Verhaltens des Mieters das Mietverhältnis und begehren Vermieter oder Mieter Rechtsschutz gem. § 29 ARB, so ist Versicherungsfall nicht der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung, sondern der vom Vermieter behauptete Verstoß des Mieters gegen vertragliche Pflichten (Kündigungsgrund), der zeitlich vor der Kündigung liegt.
Diese Anknüpfung an vorangegangene Ereignisse, welche vor dem Ereignis liegen, in dem der Versicherungsnehmer den Rechtsverstoß des Gegners sieht, wird durch den BGH in Frage gestellt. So führt der BGH inzwischen in ständiger Rechtsprechung aus, dass für den maßgeblichen Versicherungsfall gem. § 4 Abs. 1 c ARB als frühestmöglicher Zeitpunkt "das dem Gegner vorgeworfene pflichtwidrige Verhalten in Betracht" komme, aus dem der Versicherungsnehmer seinen Anspruch herleitet, bzw. ein dem Versicherungsnehmer gegenüber begangener Rechtsverstoß. Selbst bei einer Aufrechnung des Gegners mit einem an sich nicht unter den Versicherungsschutz fallenden Gegenanspruch bestünde Deckungsschutz, weil es auf den Gegenanspruch nicht ankäme, sondern allein auf den (den Hauptanspruch betreffenden) Tatsachenvortrag, "mit dem der Versicherungsnehmer den Verstoß seines Anspruchsgegners begründet". Gleichermaßen gelte im Passivprozess, dass nur auf denjenigen Verstoß gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften abzustellen sei, den der Versicherungsnehmer seinem Gegner im Ausgangsrechtsstreit anlastet. Auf die prozessuale Parteirolle oder eine anderweitig begründete Unterscheidung zwischen Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung komme es insoweit nicht an. Wäre dies zutreffend, läge in dem vorgenannten Beispiel tatsächlich erst in der Kündigung des Vermieters der maßgebliche Versicherungsfall und nicht bereits in dem zeitlich davor liegenden Verhalten, welches der Vermieter dem Versicherungsnehmer als Kündigungsgrund vorwirft. Gleiches würde bei einer Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber wegen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers gelten: Auch dort dürfte bei der Festlegung des Versicherungsfalles nicht auf die vom Gegner behaupteten Kündigungsgründe abgestellt werden.
Dies widerspricht der seit der – gut begründeten und daher bisher nicht in Frage gestellten – Entscheidung des BGH im Jahre 1984 einhelligen und geradezu als selbstverständlich angesehenen Meinung, wonach auch bei einem Aktivprozess der maßgebliche Versicherungsfall in dem eigenen Verhalten des Versicherungsnehmers liegen kann und in den Kündigungsfällen auch regelmäßig liegt. Diese vermeintliche Rechtsprechungsänderung erscheint sachlich als nicht gerechtfertigt, wurde allerdings vom BGH zunächst auch nicht als solche benannt. Erst in einer späteren Entscheidung hat der BGH explizit ausgeführt, dass er an seiner früheren gegenteiligen Rechtsprechung nicht mehr festhalte. Das Problem dürfte darin liegen, dass der BGH in seinen ersten Entscheidungen, in denen er im Bereich des Vertrags-Rechtsschutzes von seiner f...