Dr. iur. Matthias Franzke
Rz. 41
Streitig sind diejenigen Konstellationen, in denen der Geschädigte Kenntnis von einem unreparierten Vorschaden im erneut anstoßrelevanten Fahrzeugbereich hat, diesen jedoch gegenüber dem Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherer und dem erkennenden Gericht verschweigt oder dessen Existenz bestreitet. Wird durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen bestätigt, dass wegen der im Unfallzeitpunkt nicht reparierten Vorschäden ein zusätzlicher Schaden nicht festgestellt werden kann, entfällt ein Schadensersatzanspruch des klagenden Geschädigten, wenn eine Abgrenzung nicht erfolgen kann. Ansonsten lässt der BGH aber grundsätzlich eine Abgrenzung zu, wenn dies technisch möglich ist. Es bleibt der Beklagtenseite aber der Einwand des Rechtsmissbrauchs offen, den zumindest einzelne Tatgerichte anerkennen, der aber nur bei einem gezielt arglistigen und treuwidrigen Vorgehens eingreifen kann.
Rz. 42
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Muster 13.2: Einwand der Verwirkung
Ein Anspruchsteller verwirkt seinen Schadensersatzanspruch, wenn er einen überwiegend nicht unfallbedingten Schaden verfolgt, dies aber durch ein Sachverständigengutachten im Auftrag des Gerichts im Prozess entdeckt wird und zudem nachgewiesen wird, dass der Anspruchsteller von Anfang an gezielt einen nicht reparierten Altschaden verschwiegen hat, um die Versichertengemeinschaft im Rahmen eines gesetzlichen Schuldverhältnisses zu schädigen (LG Bochum, Urt. v. 2.5.2023 – I 8 U 297/21 – juris mit Besprechung Kemperdiek, jurisPR-VerkR 3/2024 Anm. 2; LG Münster, Urt. v. 8.8.2014 – 11 O 279 – 11 = NJW Spezial 2014, 618; LG Münster, Urt. v. 23.4.2014 – 2 O 462/11 = NJW-RR 2014, 1498; im Überblick Nugel, zfs 2020, 490ff.).
Rz. 43
Die überwiegende instanzgerichtliche Rechtsprechung geht einen Schritt weiter. Danach kann der Geschädigte selbst kompatible Schäden nicht ersetzt verlangen, wenn nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auszuschließen ist, dass sie bereits im Rahmen eines Vorschadens entstanden sind und nicht sämtliche vom Geschädigten geltend gemachten Schäden auf das Unfallereignis zurückzuführen sind. Andere Gerichte urteilen weniger streng. Auch bei einem verschwiegenen oder bestrittenen relevanten Vorschaden bestehe ein Ersatzanspruch insoweit, als der geltend gemachte Folgeschaden sich technisch und rechnerisch eindeutig vom Vorschaden abgrenzen lässt. Diese Richtung bestätigt auch der BGH mit seinem Urteil aus 2023.
Bei einem vorsätzlichen Verschweigen eines bekannten Vorschadens oder bei wahrheitswidriger Behauptung einer fachgerechten Reparatur des Vorschadens liegt ein Verstoß gegen die prozessuale Wahrheitspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO vor. Teilweise wird darin wie dargelegt ein besonders grober Treueverstoß nach § 242 BGB gesehen, welcher zum Verlust des Schadensersatzanspruchs führen kann.
Rz. 44
Liegt mithin ein Vorschaden mit Schadensüberlagerung in Bezug auf den Neuschaden vor und bestreitet der Haftpflichtversicherer die unfallbedingte Kausalität der geltend gemachten Schäden, trifft den Geschädigten eine gesteigerte Darlegungslast. Der Geschädigte muss in diesen Fällen im Einzelnen ausschließen, dass Schäden gleicher Art und gleichen Umfangs bereits vorhanden waren, wofür er im Einzelnen zu der Art der Vorschäden und deren behaupteter Reparatur vortragen muss. Zeugen zur Vorschadensreparatur sind nur dann zu vernehmen, wenn der Vortrag des Geschädigten zu Art und Ausführung der Vorschadensreparatur ausreichend substantiiert ist. Andernfalls handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis.
Praxistipp
Bestreitet der Haftpflichtversicherer aufgrund eines einschlägigen Vorschadensereignisses substantiiert die unfallbedingte haftungsausfüllende Kausalität, ist für den Anwalt des Geschädigten erhöhte Vorsicht geboten. Denn verschweigt sein Mandant weiterhin einen relevanten Vorschaden oder leugnet diesen hartnäckig, hat dies den Verlust der Beweiserleichterungen nach § 287 ZPO zur Folge. Einzig sinnvoll ist daher, zu der Vorschadensproblematik umfassend und wahrheitsgemäß vorzutragen, zumal durch die Bestellung eines Sachverständigen ganz erhebliche Prozesskosten produziert werden. Ist der Vorschaden beim früheren Eigentümer eingetreten, sollte der Vorbesitzer kontaktiert und um Übermittlung von Reparaturbelegen gebeten werden.
Nach älterer Rechtsprechung soll dies auch dann gelten, wenn der Vorschaden außerhalb der Besitzzeit des Geschädigten eingetreten ist. Dies hat der BGH allerdings mit seinem Grundsatzurteil aus 2019 anders entschieden. Insbesondere, wenn es sich dabei um einen Schaden aus der Vorbesitzzeit handelt, kann dem Geschädigten, der über das Vorhandensein eines solchen Vorschadens getäuscht worden ist, auch nicht verwehrt werden, dass durch eine Beweisaufnahme aufgeklärt wird, ob und in welchem Umfang und mit welcher Qualität ein solcher Vorschaden repariert worden ist – und zwar ohne dass der Geschädigte hierzu einen weiteren konkreten Tatsache...