Rz. 157
Zunächst dürfte das objektive Gewicht der Sorgfaltsverletzung zweifellos ein geeignetes Verschuldenskriterium darstellen. So lädt nach Felsch schwerere Schuld auf sich, wer durch einen Rotlichtverstoß einen Menschen tötet als derjenige, der durch grobe Fahrlässigkeit den Diebstahl seines Fahrrades verursacht (im "Goslarer Orientierungsrahmen", zfs 2010, 12, auch als "normative Vorprägung" durch andere Rechtsgebiete bezeichnet, zustimmend Nugel, Kürzungsquoten, § 1 Rn 129).
Rz. 158
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Gewicht zwar verletzter, jedoch nicht konkret versicherter Rechtsgüter sicherlich keine Rolle spielen kann. Geht es um die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls in der Vollkaskoversicherung, in der allein der Pkw versichert ist, kann daher die Verletzung weiterer Rechtsgüter (wie des Lebens anderer Personen) keine Rolle spielen. Für den Vollkaskoversicherer und bezogen auf das dort allein versicherte Risiko macht es keinen Unterschied, ob bei dem Unfall weitere Personen oder Sachen geschädigt wurden.
Rz. 159
Hinweis
Die Verletzung weiterer, nicht im konkreten Versicherungsvertrag versicherter Rechtsgüter hat bei der Schwere des Verschuldens eines Verstoßes außer Betracht zu bleiben.
Rz. 160
Fraglich ist, inwieweit es der Rechtsprechung gelingen wird, für typische Sorgfaltspflichtverletzungen feste Quoten zu bilden. So wird gelegentlich die Vorstellung geäußert, für typische Verkehrsverstöße könne dies ähnlich dem Bußgeldkatalog oder der Schmerzensgeldtabelle möglich sein. So hat der Arbeitskreis IV des 46. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2008 (Empfehlung Nr. 5) sehr weit gehend empfohlen, dass bei jeglicher groben Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit alkoholbedingter oder drogenbedingter Fahruntüchtigkeit eine vollständige Leistungsversagung (Leistungskürzung auf null) erfolgen soll. Gerade bei geringen Promillewerten im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit (bereits ab 0,3 ‰ denkbar) erscheint eine Leistungskürzung auf Null allerdings als unvertretbar.
Rz. 161
Bei allem Verständnis für eine im Interesse der Verkehrssicherheit liegende weitest mögliche Verhinderung von Fahrten unter Alkoholeinfluss ist die neue Gesetzessystematik nicht außer Acht zu lassen, wonach bei grober Fahrlässigkeit lediglich eine Leistungskürzung vorzunehmen ist. Selbst wenn man die Kürzung auf null für schwere Fälle als zulässig erachtet, kann nicht ohne jede Differenzierung auch der Fall der "leichtesten" groben Fahrlässigkeit im Zusammenhang mit Alkohol zum vollständigen Leistungswegfall führen. Hier dürfte es sich eher anbieten, entsprechend dem Promillewert eine Abstufung der Leistungskürzung vorzunehmen. Die Empfehlung des 46. VGT deutlich relativierend hat inzwischen der "Goslarer Orientierungsrahmen" (zfs 2010, 12) lediglich bei absoluter alkoholbedingter Fahruntüchtigkeit eine Kürzung auf null (bestätigend BGH v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 – VersR 2011, 1037) und im Übrigen eine Staffelung nach Promillewerten vorgesehen. Die jüngste Entscheidung des BGH (Urt. v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10 – VersR 2012, 341) bestätigt zwar eine vorgenommene Leistungskürzung auf null in einem Fall absoluter Fahruntüchtigkeit (2,10 Promille), betont aber den Ausnahmecharakter und die erforderliche umfassende Abwägung der Umstände des Einzelfalles. Daraus lässt sich schließen, dass der BGH nicht davon ausgeht, dass stets beim Überschreiten des Grenzwertes zur sog. absoluten Fahruntüchtigkeit (1,1 Promille) eine Leistungskürzung auf null gerechtfertigt ist.
Rz. 162
Ob es tatsächlich möglich sein wird, entsprechend einem Bußgeldkatalog oder einer Schmerzensgeldtabelle typische Quoten zu entwickeln, erscheint mehr als fraglich. Wegen der Vielzahl der zu berücksichtigenden Umstände dürfte die Situation noch am ehesten mit den Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen zu vergleichen sein. Bereits dort (vgl. z.B. Grüneberg, Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen) sieht man, dass in besonders problematischen Konstellationen Rechtsprechung mit Haftungsquoten von 100:0 bis 0:100 zu finden ist, selbst bei Standardkonstellationen von 100:0 bis 30:70. Dies liegt daran, dass die Umstände des konkreten Einzelfalls, welche bei der Haftungsabwägung zu berücksichtigen sind, im Detail doch zu unterschiedlich sind.
Rz. 163
Es erscheint kaum denkbar, dass es im Bereich der neuen Leistungskürzung einfacher sein wird, typische Quoten festzulegen. Auch hier dürften die zu berücksichtigenden Einzelfallumstände zu unterschiedlich sein, um wirklich eine zuverlässige Tabelle entwickeln zu können. Dies ist gleichwohl mit dem "Goslarer Orientierungsrahmen" (zfs 2010, 12) versucht worden, allerdings lediglich für besonders häufig vorkommende und damit im Straßenverkehr typische Fälle. Dennoch wird zumindest – wie gegenwärtig im Bereich des Schmerzensgeldes oder der Haftungsquoten bei Verkehrsunfällen – ein solches Spektrum vertretbarer Ergebnisse verbleiben, sodass in jedem Einzelfall problemlos gerichtlich gestritten werden kann. Die Rechtssicherheit