Rz. 145

Ob der Begriff der Leistungskürzung auch die Möglichkeit einschließt, dass der Leistungsanspruch vollständig auf Null gekürzt wird, lässt sich sprachlich unterschiedlich bewerten.

 

Rz. 146

Von der Systematik des neuen VVG betrachtet spricht einiges dafür, dass eine Kürzung im Gegensatz zur vollen Leistung (bei einfacher Fahrlässigkeit) und zur vollständigen Leistungsfreiheit (bei Vorsatz) nicht zu einer 0 %- oder 100 %-Quote führen kann, da diese beiden Leistungsquoten den anderen Verschuldensformen vorbehalten sind. Nach der Gesetzessystematik ist bei grober Fahrlässigkeit eine Leistung vorgesehen, welche – ebenso wie das Verschulden – zwischen den beiden für die Verschuldensformen Vorsatz und einfache Fahrlässigkeit vorgesehenen Leistungen liegt.

 

Rz. 147

Dennoch wird allgemein davon ausgegangen, dass in besonderen Fällen auch 100:0-Fälle möglich sind, also eine Leistungskürzung zur vollständigen Leistungsfreiheit führen kann (Rixecker, zfs 2007, 15, 16; Felsch, r+s 2007, 485 ff.; Römer, VersR 2006, 740, 741; Stahl, in: Burmann/Heß/Stahl/Höke, S. 77 Rn 234 sowie die Empfehlung Nr. 4 des AK IV des 46. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2008 und der "Goslarer Orientierungsrahmen", zfs 2010, 12). Diese Auffassung ist inzwischen vom BGH bestätigt worden (BGH v. 22.6.2011 – IV ZR 225/10 – VersR 2011, 1037 = NZV 2011, 597; BGH v. 11.1.2012 – IV ZR 251/10 – VersR 2012, 341). Soweit Felsch (r+s 2007, 485 ff.) allerdings argumentiert, eine Quote von 99:1 sei ja in jedem Fall möglich und es handele sich um eine bloße Förmelei, die Nullquote nicht zuzulassen, ist dem entgegenzuhalten, dass – auch nach der Ansicht von Felsch – lediglich grobe Schritte von maximal Fünfteln vorzunehmen sind. Zwischen der danach maximal denkbaren Quote von 80:20 und 100:0 besteht jedoch ein erheblicher Unterschied, der nicht lediglich einer Förmelei gleicht.

 

Rz. 148

Die Kürzung auf Null lässt sich allerdings allenfalls dann rechtfertigen, wenn umgekehrt auch in außergewöhnlich leichten Fällen der groben Fahrlässigkeit (was auch immer das sein mag) 0:100-Fälle möglich sind, es also bei der vollen Leistung bleibt (Römer, VersR 2006, 740, 741; Stahl, in: Burmann/Heß/Stahl/Höke, S. 77 Rn 234 sowie die Empfehlung Nr. 4 des AK IV des 46. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2008).

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge