Dr. iur. Karl-Peter Pühler
Rz. 3
§ 102 Abs. 5 BetrVG gewährt dem Arbeitnehmer einen Anspruch, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigt zu werden. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob die ausgesprochene Kündigung unwirksam oder wirksam ist. Die Weiterbeschäftigungspflicht besteht auch dann, wenn das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen hat, aber die Tatbestandsvoraussetzungen des § 102 Abs. 5 BetrVG weiterhin erfüllt sind. Ist eine offensichtlich wirksame Kündigung gegeben, kommt eine Entbindung des Arbeitgebers von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach § 102 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BetrVG in Betracht. Grundsätzlich setzt der WBA voraus, dass ein Betriebsrat auf der Basis einer Wahl amtiert, die nicht nichtig ist. In betriebsratslosen Betrieben oder bei nichtiger Betriebsratswahl ist ein Anspruch gem. § 102 Abs. 5 BetrVG nicht gegeben. Der WBA gilt für Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. 1 BetrVG. Für leitende Angestellte ist kein gesetzlicher WBA vorgesehen; insbesondere ergibt sich ein solcher nicht aus dem SprAuG.
I. Voraussetzungen des Weiterbeschäftigungsanspruchs gem. § 102 Abs. 5 BetrVG
Rz. 4
Der gesetzliche WBA nach § 102 Abs. 5 S. 1 BetrVG setzt voraus, dass eine ordentliche Arbeitgeberkündigung ausgesprochen wurde, der Betriebsrat frist- und formgerecht Widerspruch erhoben hat und das Arbeitsverhältnis unter das KSchG fällt. Ferner ist Voraussetzung, dass der Arbeitnehmer innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat, dabei geltend macht, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, und seine Weiterbeschäftigung gegenüber dem Arbeitgeber verlangt.
1. Kündigung des Arbeitgebers
Rz. 5
Der gesetzliche WBA besteht nur bei einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung des Arbeitsverhältnisses. Kündigt der Arbeitgeber einem tariflich oder vertraglich unkündbaren Arbeitnehmer außerordentlich mit einer sozialen Auslauffrist, dann ist für Widerspruch und den WBA nach der Rspr. des BAG § 102 Abs. 3, 5 BetrVG entsprechend anzuwenden. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich aus wichtigem Grund nach § 626 Abs. 1 BGB, dann scheidet der Anspruch nach § 102 Abs. 5 BetrVG auch dann aus, wenn vorsorglich zugleich eine ordentliche Kündigung erklärt wird. Anders ist nur dann zu entscheiden, wenn der Arbeitgeber die außerordentliche Kündigung "zurücknimmt", deren Unwirksamkeit durch Teilurteil rechtskräftig festgestellt wird oder durch eine gerichtliche Entscheidung die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt wird oder die ausgesprochene außerordentliche Kündigung offensichtlich i.S.d. Rspr. des BAG unwirksam ist.
Rz. 6
Bei einer Änderungskündigung ist hinsichtlich des WBA zu differenzieren. Wenn der Arbeitnehmer das Änderungsangebot nicht fristgerecht annimmt, handelt es sich bei der Änderungskündigung um eine Beendigungskündigung, so dass bei Vorliegen der übrigen tatbestandsmäßigen Voraussetzungen ein WBA besteht. Wenn der Arbeitnehmer das Angebot des Arbeitgebers unter dem Vorbehalt gem. § 2 KSchG annimmt, besteht ein WBA jedenfalls dann nicht, wenn der Arbeitnehmer zu den geänderten Arbeitsbedingungen tätig wird. Anders ist zu entscheiden, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zu den geänderten Bedingungen nicht beschäftigen kann, weil der Betriebsrat der mit einer Änderungskündigung oftmals verbundenen Versetzung (§ 95 Abs. 3 BetrVG) gem. § 99 Abs. 1 BetrVG seine Zustimmung verweigert hat, diese noch nicht ersetzt ist und der Arbeitgeber nicht über § 100 Abs. 1 BetrVG vorgeht. In diesem Fall kommt ein WBA auch bei Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt in Betracht. Kommt es im weiteren Verlauf zu einer nachträglichen Erteilung der Zustimmung bzw. zur Ersetzung derselben, dann entfällt der WBA.
2. Widerspruch des Betriebsrats
Rz. 7
Der WBA nach § 102 Abs. 5 BetrVG setzt voraus, dass der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung frist- und formgerecht widersprochen hat.
3. Erhebung der Kündigungsschutzklage
Rz. 8
Voraussetzung des gesetzlichen WBA ist weiterhin, dass neben dem Widerspruch des Betriebsrats der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage nach § 4 S. 1 KSchG erhebt. Der Arbeitnehmer muss also unter den persönlichen Anwendungsbereich des KSchG fallen und mit der Klage geltend machen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, und die Sozialwidrigkeit rügen. Die Geltendmachung anderer Unwirksamkeitsgründe reicht nicht aus. Dies gilt auch nach der Neufassung des § 4 KSchG unter Erweiterung der Drei-Wochen-Frist auf sonstige Unwirksamkeitsgründe der schriftlichen Kündigung, da der Gesetzgeber § 102 Abs. 3 BetrVG unverändert gelassen hat und der gesetzliche WBA auf den dortigen Widerspruchsgründen basiert. Voraussetzung ist auch, dass der betriebliche Geltungsbereich des KSchG zu bejahen ist. Sind diese Voraussetzungen nicht gegeben, ...