Dr. Stephan Pauly, Michael Pauly
Rz. 98
Zu den Dauerbrennern der Rechtsfragen, die sich beim (Fremd-)Geschäftsführer einer GmbH und beim (Fremd-)Vorstand einer AG auch in der Vergangenheit schon gestellt haben, gehört die Frage, welcher Rechtsweg für eventuelle Streitigkeiten eröffnet ist. Während insoweit für den in der Praxis eher seltenen Fall, dass der organschaftliche Akt (Abberufung als Vorstand/Geschäftsführer) angegriffen werden soll, (bisher) eindeutig der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet war, hat sich auch früher schon die Frage gestellt, ob nicht (zumindest ausnahmsweise) bei (Fremd-)Geschäftsführern/(Fremd-)Vorständen der Weg zur Arbeitsgerichtsbarkeit eröffnet sein könnte. Insoweit wurde überwiegend angenommen, dass diese Frage mit Verweis auf § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG eindeutig zu beantworten sei. Nach § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG gelten als Arbeitnehmer nicht in Betrieben einer juristischen Person oder einer Personengesamtheit Personen, die kraft Gesetzes, Satzung oder Gesellschaftsvertrag allein oder als Mitglied des Vertretungsorgans zur Vertretung der juristischen Person oder der Personengesamtheit berufen sind. Diese Eindeutigkeit gehört spätestens nach den jüngsten Entscheidungen des BAG der Vergangenheit an. Danach endet die Rechtsfiktion des § 5 Abs. 1 S. 3 ArbGG mit der Abberufung des Geschäftsführers, sodass sich die Frage nach dem Rechtsweg nach den allgemeinen Grundsätzen danach entscheidet, ob ein Arbeitsvertrag oder ein Dienstvertrag besteht. Zu den sich daraus ergebenden Konsequenzen vgl. umfassend die Ausführungen in § 20 ("Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten").
Rz. 99
An dieser Stelle sollen daher nur zwei Bemerkungen gemacht werden. Zum einen dürfte es sich nach der geänderten Rechtsprechung um einen "anwaltlichen Kunstfehler" handeln, wenn der Vertreter des Geschäftsführers/des Vorstands den Rechtsweg zur Arbeitsgerichtsbarkeit nicht mindestens intensiv prüft und "im Zweifel" für seinen Mandanten bejaht. In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 4 KSchG (unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des KSchG) unter dem Aspekt des "sichersten Wegs" dringend anzuraten, bei Bejahung der Eröffnung des Weges zur Arbeitsgerichtsbarkeit, eine entsprechende Klage – genau wie im Arbeitsrecht – innerhalb von drei Wochen nach Zugang der (schriftlichen) Kündigung Klage zu erheben; andernfalls sollte – zumindest vorsorglich – die eigene Haftpflichtversicherung schon einmal informiert werden. Die zweite Bemerkung geht dahin, unter Berücksichtigung der geänderten Rechtsprechung dem § 2 Abs. 4 ArbGG in der Praxis mehr Bedeutung zu schenken und im Rahmen von zu führenden Vertragsverhandlungen fruchtbar zu machen. § 2 Abs. 4 ArbGG bestimmt, dass aufgrund einer Vereinbarung auch bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des Privatrechts und Personen, die kraft Gesetzes allein oder als Mitglieder des Vertretungsorgans der juristischen Personen zu deren Vertretung berufen sind, vor die Gerichte für Arbeitssachen gebracht werden können. Da Zuständigkeitsstreitigkeiten Rechtsstreite erfahrungsgemäß deutlich verzögern und den Arbeitsaufwand für die jeweils beauftragten Beraterinnen und Berater deutlich erhöhen, könnte unter den heutigen Gegebenheiten der aktuellen Rechtsprechung eine derartige Vereinbarung mittlerweile auch für die Gesellschaften vorteilhaft sein, da die zeitraubenden und damit kostspieligen Zuständigkeitsstreitigkeiten von vornherein vermieden werden.
Rz. 100
Aus Sicht des Vertreters/der Vertreterin des jeweiligen (Fremd-)Vorstands/(Fremd-)Geschäftsführers gehört ein entsprechender Versuch, eine entsprechende Zuständigkeitsvereinbarung nach § 2 Abs. 4 ArbGG im Dienstvertrag niederzulegen, ohnehin zu den Überlegungen im Rahmen einer sorgfältigen Mandatsbearbeitung.
Rz. 101
Und noch eine Bemerkung "zu guter Letzt": Wenn man schon dabei ist, sich "sorgfältige Gedanken" zu machen, dann würde es sich auch empfehlen, über angemessene Regelungen für den Fall des Auseinandergehens zwischen Gesellschaft und Organmitglied nachzudenken (Festlegung von Abfindungs- und Ausscheidensmodalitäten und -konditionen) und im Zusammenhang mit Kündigungsvereinbarungen dann auch daran zu denken, wechselseitig die grundsätzlich mögliche "Kündigung vor Dienstantritt" auszuschließen. Ebenso "geboten" ist es, im Dienstvertrag detaillierte Regelungen zu Fragen der (vorläufigen) Freistellung/Suspendierung/zeitweiligen Amtsenthebung mit aufzunehmen, da derartige vorsorgende vertragliche und damit einvernehmliche Regelungen oftmals helfen, den Konfliktfall im beiderseitigen Interesse von Gesellschaft und Organmitglied zu entschärfen.