Rz. 212
Nach § 162 Abs. 1 VVG ist der Versicherer von der Leistungspflicht frei, wenn der Versicherungsnehmer vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Tod der versicherten Person herbeiführt. Zweck der Vorschrift ist der Schutz der versicherten Person. Anders als bei der Selbsttötung besteht deshalb bei Tötung durch den Versicherungsnehmer auch kein Anspruch auf den Rückkaufswert. § 162 Abs. 2 VVG ergänzt die Bestimmung dahingehend, dass die Einräumung eines Bezugsrechts zugunsten eines Dritten die Einräumung des Bezugsrechts als nicht erfolgt gilt, wenn der bezugsberechtigte Dritte vorsätzlich durch eine widerrechtliche Handlung den Tod der versicherten Person herbeiführt. § 162 Abs. 2 VVG ist analog bei einer vorsätzlichen, widerrechtlichen Tötung der versicherten Person durch einen Dritten anwendbar, wenn die Versicherungsleistung aufgrund einer Abtretung, Pfändung oder Verpfändung dem Dritten zusteht mit der Folge, dass die Abtretung, Verpfändung oder Pfändung als nicht erfolgt gilt.
Rz. 213
Voraussetzung ist zunächst eine Versicherung auf den Tod eines anderen. Entsprechende Anwendung findet § 162 Abs. 1 VVG im Rahmen der Versicherung auf verbundene Leben, in der die beiden versicherten Personen gleichzeitig Versicherungsnehmer sind, wenn einer der Versicherungsnehmer den anderen tötet. Tötet der Versicherungsnehmer den anderen und dann sich selbst, ist fraglich, ob § 162 Abs. 1 VVG Anwendung findet. Insoweit wird vertreten, dass der Normzweck der Vorschrift in diesem Fall auch bei Leistungsfreiheit des Versicherers nicht erreicht werden kann. Die Rechtsprechung ist uneinheitlich. Das LG Berlin hält unabhängig von der Frage der Bezugsberechtigung § 162 Abs. 1 VVG für anwendbar. Der Versicherungsnehmer, der eine andere versicherte Person vorsätzlich töte, solle die Leistung und sogar den Rückkaufswert verlieren; damit solle vor dem Missbrauch des Versicherungsverhältnisses zur Spekulation mit dem Leben eines anderen abgeschreckt werden. Der missbilligte Missbrauch des Versicherungsverhältnisses werde nicht dadurch aufgewogen oder in irgendeiner Weise verhindert, dass der Versicherungsnehmer sich ebenfalls töte, also nicht selbst in den Genuss der Versicherungsleistung gelangen könne. Die Absicht, diese einem Dritten zuzuwenden, könne überdies als Motiv einer Selbsttötung oder Tötung des anderen mitspielen. Das OLG Köln hält die Vorschrift des § 162 Abs. 1 VVG zwar für anwendbar, wenn der Versicherungsnehmer zugleich mitversicherte Person ist und die andere mitversicherte Person vorsätzlich und rechtswidrig tötet. Eine sinngemäße Anwendung der Vorschrift scheide aber aus, wenn der mitversicherte Versicherungsnehmer von vornherein in der Absicht handelt, den versicherten Dritten und sich selbst im Zuge eines einheitlichen Tatgeschehens zu töten, und § 161 VVG nicht einschlägig sei, weil der Versicherer vertraglich zugesagt habe, von dieser Vorschrift nach Ablauf einer Karenzzeit nicht Gebrauch zu machen. Es sei nicht einzusehen, warum der Versicherer, der die Leistung auch für den Fall des Selbstmords verspreche, davon frei werden solle, wenn und soweit der Selbstmord im Rahmen einer Tathandlung vollzogen werde, die unter den Tatbestand des § 162 Abs. 1 VVG subsumiert werden könne, weil der mitversicherte Dritte (zufällig) vorversterbe. Der Senat verkenne dabei durchaus nicht, dass der Selbstmord bei strikter Betrachtung des versicherten Risikos im Fall des Vorversterbens des Dritten nicht mehr in der Lage sei, den Versicherungsfall auszulösen, eben weil er bereits zuvor eingetreten sei; diese rechtsdogmatische Schwäche müsse aber hingenommen werden, um unbillige, von bloßen Zufälligkeiten abhängende Ergebnisse zu vermeiden, und könne auch akzeptiert werden, weil es (nur) um die Frage gehe, ob § 162 Abs. 1 VVG sinngemäß anwendbar sei.
Rz. 214
Eine widerrechtliche Handlung ist auch bei einem Unterlassen (§ 13 StGB) sowie der Beihilfe oder Anstiftung gegeben.
Rz. 215
Der Vorsatz muss sich auf den Todeserfolg beziehen. Dabei soll nach der überwiegenden Auffassung der zivilrechtliche Vorsatzbegriff maßgeblich sein. Entsprechend der zivilrechtlichen Vorsatztheorie werde der Vorsatz im Rahmen des Deliktsaufbaus als Teil der Schuld geprüft und müsse Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit umfassen. Der Vorsatz und damit die Anwendung des § 162 VVG entfalle, wenn ein Schuldausschließungsgrund vorliege oder der Täter seine Tat für rechtmäßig halte. Nach der Gegenmeinung soll wegen des Appell- und Sanktionscharakters des § 162 VVG die im Strafrecht herrschende eingeschränkte Schuldtheorie Anwendung finden.
Rz. 216
Soweit vertreten wird, die Leistungsfreiheit im Falle der Tötung der versicherten Person durch den Versicherungsnehmer trete nicht ein, soweit der Anspruch auf den Rückkaufswert abgetreten oder verpfändet sei oder dem Versicherungsnehmer nur zum Teil zustehe, kann dieser Auffassung nicht zugestimmt werden. Der Versicherungsnehmer erhält in diesen Fälle...