Leitsatz (amtlich)
Findet keine Anwendung, wenn der versicherte Versicherungsnehmer einer kapitalbildenden Lebensversicherung (Versicherung auf verbundene Leben) im Zuge eines einheitlichen Tatgeschehens zunächst seine mitversicherte Ehefrau und anschließend sich selbst vorsätzlich tötet, soweit § 169 S. 1 VVG aufgrund vertraglicher Vereinbarung nicht eingreift.
Normenkette
VVG §§ 170, 169
Verfahrensgang
LG Aachen (Aktenzeichen 8 O 121/97) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 3. Juli 1997 verkündete Urteil der 8. Zivilkammer des Landgerichts Aachen - 8 O 121/97 - wird zurückgewiesen. Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 145.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten. Den Parteien wird gestattet, die Sicherheitsleistung durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank, öffentlichen Sparkasse oder Genossenschaftsbank zu erbringen.
Tatbestand
W.A. vereinbarte im Jahre 1986 mit der Beklagten eine kapitalbildende Lebensversicherung in Höhe von 100.000,00 DM zuzüglich Überschußbeteiligung. Neben ihm war seine Ehefrau mitversichert. Leistungsempfänger sollte im Erlebensfall der Versicherungsnehmer, im Todesfall die überlebende versicherte Person sein. Als Ablaufdatum ist der 1. Oktober 2016 vereinbart. § 8 der AVB, die der Versicherung zugrunde liegen, lautet:
Was gilt bei Selbsttötung des Versicherten?
(1)
Bei Selbsttötung vor Ablauf von 3 Jahren seit Zahlung des Einlösungsbeitrages oder seit Wiederherstellung der Versicherung besteht Versicherungsschutz nur dann, wenn uns nachgewiesen wird, daß die Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen worden ist. Andernfalls zahlen wir ein etwa vorhandenes Deckungskapital aus.
(2)
Bei Selbsttötung nach Ablauf der 3-Jahres-Frist bleiben wir zur Leistung verpflichtet.
Am 1. Juni 1996 tötete W.A. seine Ehefrau durch einen Kopfschuß in den Schläfenbereich, ferner erschoß er seine beiden Kinder. Außerdem tötete er sich selbst, indem er sich eine Kugel durch den geöffneten Mund in die obere Gaumenplatte schoß. In der Sterbeurkunde der Eheleute ist jeweils als Todeszeitpunkt der 1. Juni 1996 zwischen 9.55 Uhr und 16.30 Uhr angegeben, hinsichtlich des Familienstands ist jeweils vermerkt:"Der Familienstand des Verstorbenen ist unbekannt".
Die Kläger sind die gesetzlichen Erben der verstorbenen Frau A.. Die Erben des verstorbenen Herrn A. übertrugen ihre Erbanteile durch notariellen Vertrag schenkweise auf die Deutsche Krebshilfe e.V., die das Erbe später in notarieller Form auf die Kläger übertrugen.
Die Kläger beanspruchen von der Beklagten nunmehr die Auszahlung der Versicherungssumme. Sie haben behauptet, die verstorbene Ehefrau habe ihren Ehemann überlebt. Ferner müsse bestritten werden, daß Herr A. bei Tatbegehung überhaupt zivilrechtlich verantwortlich gehandelt habe. Es sei Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit des Herrn A. erhoben worden.
Sie haben beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, im Rahmen des bei ihr abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages Versicherungsschutz zu gewähren,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger als Gesamtgläubiger einen Teilbetrag von 113.500,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 22. Oktober 1996 zu zahlen,
3.
die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über die im Rahmen des abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrages sich ergebende Versicherungsleistung einschließlich der Überschüsse,
4.
nach Erledigung des Klageantrags zu Ziffer 3 die Beklagte zu verurteilen, die Kläger als Gesamtgläubiger den sich nach Auskunftserteilung ergebenden Betrag, der den Zahlungsanspruch zu Antrag Ziffer 2 übersteigt, nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Oktober 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die verstorbene Ehefrau sei infolge des Kopfschusses sofort verstorben. Erst danach sei der Versicherungsnehmer an den Folgen der selbst beigebrachten Schußverletzungen gestorben. Sie beruft sich auf Leistungsfreiheit gemäß § 170 Abs. 1 VVG.
Das Landgericht hat die Beklagte im wesentlichen antragsgemäß verurteilt.
Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Sie meint, die Klage könne nur Erfolg haben, wenn die Kläger zu beweisen vermöchten, daß der Versicherungsnehmer vorverstorben sei. Diesen Beweis könnten sie aber nicht erbringen. Es sei im Gegenteil davon auszugehen, daß die Ehefrau durch den Kopfschuß sofort getötet worden sei. Das Landgericht habe § 170 Abs. 1 VVG unrichtig ausgelegt. Die Vorschrift sei Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, daß der Versicherer bei einem vom Versicherungsnehmer vorsätzlich herbeigeführten Versicherungsfall leistungsfrei werde, weil der Versicherungsnehmer damit gegen die für jeden Versicherungsvertrag grundlegende Verpflichtung verstoße, den Versicherungsfall nicht vorsätzlich herbeizuführen...