Rz. 311
Der Versicherungsnehmer eines ab dem 1.1.2008 abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag ist gemäß §§ 8, 152 Abs. 1 VVG berechtigt, seine auf Abschluss des Versicherungsvertrags gerichtete Willenserklärung innerhalb von 30 Tagen zu widerrufen.
aa) Voraussetzungen des Widerrufs
Rz. 312
Voraussetzung für einen wirksamen Widerruf ist, dass der Versicherungsnehmer den Widerruf wirksam innerhalb der Widerrufsfrist erklärt hat.
Rz. 313
Für die Lebensversicherung ist zu beachten, dass abweichend von der zweiwöchigen Widerrufsfrist des § 8 Abs. 1 S. 1 VVG eine Widerrufsfrist von 30 Tagen gilt (§ 152 Abs. 1 VVG). Ausreichend für die Fristwahrung ist die Absendung des Widerrufs innerhalb der Widerrufsfrist (§ 8 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 VVG).
Rz. 314
Für den Beginn der Widerrufsfrist ist nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 2 VVG nicht der Zeitpunkt des Vertragsschlusses, sondern derjenige Zeitpunkt maßgeblich, an dem dem Versicherungsnehmer der Versicherungsschein einschließlich allgemeiner Versicherungsbedingungen, die weiteren Informationen, die nach der VVG-InfoV mitzuteilen sind, sowie die Widerrufsbelehrung zugegangen sind. Bei Versicherungsprodukten, für die ein Basisinformationsblatt nach der PRIIP-Verordnung oder für die ein PEPP-Basisinformationsblatt nach Art. 26 der PEPP-Verordnung in der jeweils geltenden Fassung zu erstellen ist, beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor auch das Basisinformationsblatt oder das PEPP-Basisinformationsblatt zur Verfügung gestellt worden ist (§ 8 Abs. 2 S. 2 VVG). Lediglich beim Anfragemodell dürfte – abweichend von der gesetzlichen Regelung – für den Beginn der Widerrufsfrist der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich sein. Denn beim Anfragemodell erhält der Kunde den Versicherungsschein einschließlich allgemeiner Versicherungsbedingungen, die sonstigen Informationen nach § 7 VVG sowie die Widerrufsbelehrung regelmäßig als Angebot des Versicherers, das noch der Annahme des Kunden bedarf. Da der Zeitpunkt des Vertragsschlusses (der Zugang der Annahmeerklärung des Kunden beim Versicherer) damit regelmäßig erst nach Erhalt der nach § 7 Abs. 2 VVG für den Beginn der Widerrufsfrist maßgeblichen Informationen liegt, ist auf diesen späteren Zeitpunkt abzustellen. Für den Versicherungsnehmer ist dies nicht nachteilig, da er seine Vertragserklärung bereits vor Beginn der Widerrufsfrist widerrufen kann.
Rz. 315
Gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG muss die deutlich gestaltete Widerrufsbelehrung über das Widerrufsrecht und über die Rechtsfolgen des Widerrufs dem Versicherungsnehmer seine Rechte entsprechend den Erfordernissen des eingesetzten Kommunikationsmittels deutlich machen und den Namen und die ladungsfähige Anschrift desjenigen enthalten, gegenüber dem der Widerruf zu erklären ist, sowie einen Hinweis auf den Fristbeginn und darauf, dass der Widerruf keine Begründung enthalten muss und dass zur Fristwahrung die rechtzeitige Absendung des Widerrufs genügt. Ausreichend ist eine Belehrung, nach der die Widerrufsfrist "nach Erhalt" der maßgeblichen Unterlagen beginnt. Eines ausdrücklichen Hinweises auf die Berechnung der Widerrufsfrist bedarf es nicht. Bei der Belehrung über die Rechtsfolgen des Widerrufs ist der Versicherungsnehmer über einen möglichen Nutzungsherausgabeanspruch zu belehren. Etwas anderes gilt nur dann, wenn §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG anwendbar ist. Dies setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einem Beginn des Versicherungsschutzes vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt hat und dass der Versicherungsschutz tatsächlich vor Ablauf der Widerrufsfrist beginnt. Der fehlende Hinweis auf das Bestehen eines Nutzungsherausgabeanspruchs stellt keinen geringfügigen Belehrungsfehler dar, der einer Ausübung des Widerrufsrechts nach § 242 BGB entgegenstünde. Die Widerrufsbelehrung ist deutlich gestaltet, wenn sie durch eine andere Farbe, Schriftart oder Schriftgröße oder durch Einrücken, Einrahmen oder in anderer Weise so hervorgehoben ist, dass sie sich drucktechnisch von den übrigen Vertragsunterlagen unterscheidet und sich damit wesentlich vom übrigen Text abhebt.
Rz. 316
Gemäß § 8 Abs. 5 VVG genügt die zu erteilende Belehrung den in Abs. 2 S. 1 Nr. 2 genannten Anforderungen, wenn das Muster der Anlage zum VVG in Textform verwendet wird. Die Musterwiderrufsbelehrung für Versicherungsverträge wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie, des zivilrechtlichen Teils der Zahlungsdiensterichtlinie sowie zur Neuordnung der Vorschriften über das Widerrufs- und Rückgaberecht (VerbrKredRLUG) vom 29.7.2009 umgesetzt mit Geltung ab 11.6.2010.
Rz. 317
Ob die Legalitätsfiktion ordnungsgemäßer Belehrung nach § 8 Abs. 5 S. 1 VVG nur dann greift, wenn die verwendete Widerrufsbelehrung der Musterwiderrufsbelehrung vollständig entspricht, ist streitig. Zutreffend dürfte sein, dass die Legalitätsfiktion auch bei bloßen Bagatellabweichungen eingreift. Unschädlich dürfte daher sein, wenn statt des in der Musterwiderrufsbelehrung verwendeten Begriffs "Pr...