(1) Allgemeines
Rz. 302
Auch wenn der Versicherungsnehmer fehlerhaft über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde, kommt in Einzelfällen ein Erlöschen des Widerspruchsrechts aufgrund von Verwirkung, unzulässiger Rechtsausübung oder Verjährung in Betracht.
Rz. 303
Das Widerspruchsrecht des Versicherungsnehmers ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass er seinen Versicherungsvertrag vor Widerspruch gekündigt hat. Ein Versicherungsnehmer, der nicht ordnungsgemäß über sein Widerspruchsrecht belehrt wurde, konnte sein Wahlrecht zwischen Widerspruch und Kündigung nicht sachgerecht ausüben.
Rz. 304
Nicht zu einem Erlöschen des Widerspruchsrechts führt darüber hinaus die beiderseitige vollständige Erbringung der Leistung. Eine analoge Anwendung von § 7 Abs. 2 S. 2 VerbrKrG und § 2 Abs. 1 S. 2 HWiG in der bis zum 31.12.2002 geltenden Fassung, wonach das Widerspruchsrecht bei beiderseitiger vollständiger Erbringung der Leistung erlischt, kommt bei einer fehlerhaften Belehrung des Versicherungsnehmers über sein Widerspruchsrecht weder bei einer Leistungserbringung durch den Versicherer vor dem 1.1.2003 noch ab dem 1.1.2003 in Betracht. Der diesen Erlöschenstatbeständen zugrunde liegende Rechtsgedanke – die Schaffung von Rechtssicherheit nach Abwicklung des Schuldverhältnisses – lässt sich nach Auffassung des BGH nicht auf § 5a VVG a.F. übertragen.
(2) Widersprüchliches Verhalten bzw. Rechtsmissbrauch
Rz. 305
Das Recht des Versicherungsnehmers zum Widerspruch kann wegen widersprüchlichen Verhaltens bzw. Rechtsmissbrauchs ausgeschlossen sein. Dies ist immer dann der Fall, wenn besonders gravierende Umstände vorliegen, die dem Versicherungsnehmer die Geltendmachung seines Anspruchs im konkreten Einzelfall verwehren.
Rz. 306
Die Ausübung des Widerspruchsrechts kann ausnahmsweise rechtsmissbräuchlich sein, wenn der Versicherungsnehmer durch sein Verhalten bei dem Versicherer den Eindruck erweckt hat, den Vertrag unbedingt fortsetzen zu wollen. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH beispielsweise bei dem zweimaligen Einsatz des Versicherungsvertrags zur Sicherung eines Kredits der Fall. Dagegen soll die einmalige Inanspruchnahme eines Policendarlehens durch den Versicherungsnehmer keinen Verwirkungseinwand begründen. Das Gleiche soll bei bloß einmaligem Einsatz der Versicherung zur Kreditsicherung ohne zeitlichen Zusammenhang zum Abschluss der Versicherung sowie bei einem mehrfachen Wechsel des den Versicherungsvertrag betreuenden Versicherungsmaklers gelten. Die Annahme eines Rechtsmissbrauchs wurde durch den BGH im Übrigen gebilligt bei der Wiederinkraftsetzung einer Versicherung nach vorheriger Kündigung sowie bei der beitragspflichtigen Wiederinkraftsetzung nach vorheriger Beitragsfreistellung. Wurde der Versicherungsnehmer regelmäßig über die Anpassung von Versicherungsleistungen und -beiträgen im Rahmen von Dynamikanpassungen informiert, ohne dies zum Anlass für ein Auflösungsverlangen zu nehmen, begründet auch dies keinen Verwirkungseinwand. Maßgeblich für die Annahme der Voraussetzungen einer Verwirkung ist jeweils eine tatrichterliche Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls.
(3) Verstoß gegen Treu und Glauben
Rz. 307
Liegt lediglich ein geringfügiger Belehrungsfehler vor, verstößt die Ausübung des Widerspruchsrechts gegen Treu und Glauben. Ein geringfügiger Belehrungsfehler liegt vor, wenn durch diesen dem Versicherungsnehmer nicht die Möglichkeit genommen wird, sein Widerspruchsrecht im Wesentlichen zu denselben Bedingungen auszuüben wie bei zutreffender Belehrung. Von einem derartigen geringfügigen Belehrungsfehler geht der BGH beispielsweise dann aus, wenn in der Widerspruchsbelehrung auf die Erforderlichkeit der Schriftlichkeit des Widerspruchs (statt richtig: "in Textform") hingewiesen wird. Enthält die Widerspruchsbelehrung hingegen überhaupt keinen Hinweis auf die erforderliche Form des Widerspruchs, handelt es sich nicht um einen geringfügigen Fehler in diesem Sinne. Gleiches gilt für die Formulierung, dass zur Wahrung der Frist die "rechtzeitige Absendung des Widerspruchs" genügt. Wird für den...