Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 34
Eine der ersten und wichtigsten BGH-Entscheidungen zur Postausgangskontrolle im beA war die Entscheidung des BGH vom 11.5.2021, die aufgrund ihrer Vielschichtigkeit und Konkretheit hinsichtlich der Anforderungen nachstehend ausführlich dargestellt wird. Die amtlichen Leitsätze des BGH:
Zitat
"1. Zum Eingang eines über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereichten elektronischen Dokuments (hier: Berufungsbegründung) bei Gericht (§ 130 a V 1 ZPO; im Anschluss an BGH GRUR 2020, 980 = WM 2021, 463 Rn 8 ff.; NJW-RR 2020, 1519 Rn 7)."
2. Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs per beA entsprechen denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht nach § 130 a V 2 ZPO erteilt wurde. Hat der Rechtsanwalt eine solche Eingangsbestätigung erhalten, besteht Sicherheit darüber, dass der Sendevorgang erfolgreich war. Bleibt sie dagegen aus, muss dies den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls erneuten Übermittlung veranlassen (im Anschluss an BAGE 167, 221 = NJW 2019, 2793 Rn 20 m.w.N. [zu der mit § 130 a V 2 ZPO gleichlautenden Vorschrift des § 46 c V 2 ArbGG]).
3. Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über das beA an das Gericht, hat er in seiner Kanzlei das zuständige Personal dahingehend anzuweisen, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung nach § 130 a V 2 ZPO zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen (im Anschluss an BAGE 167, 221 = NJW 2019, 2793 Rn 23 m.w.N.).“
Rz. 35
Der Fall:
Gegen ein am 10.7.2019 zugestelltes Urteil eines LG hatte die Klägerin rechtzeitig Berufung eingelegt. Mit Verfügung vom 24.9.2019, zugestellt am 29.9.2019, wurde die Klägerin darauf hingewiesen, dass eine Berufungsbegründungsschrift bisher nicht eingegangen war und beabsichtigt sei, die Berufung aus diesem Grunde zu verwerfen. Am 4.11.2019 (Eingang am 5.11.2019) wurde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und die versäumte Prozesshandlung gleichzeitig nachgeholt. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete die Klägerin damit, dass ausweislich der ihr vorliegenden Protokolle des beA die Berufungsbegründung am 10.9.2019 fristgerecht an das Berufungsgericht übermittelt worden sei. Die Übermittlung sei durch die seit vier Jahren beschäftigte ReFa erfolgt. Weitere, an diesem Tag über das beA versandte Nachrichten blieben ohne Beanstandung und seien ordnungsgemäß bei den Gerichten eingegangen. Zugleich wurde darauf hingewiesen, dass seit März 2019 170 Nachrichten ohne Beanstandungen via beA übermittelt werden konnten. Das Personal sei angewiesen, eine Fristenstreichung erst vorzunehmen, wenn die Erledigung der Fristsache überprüft und der entsprechende Prozessbevollmächtigte die Anweisung zum Fristenstreichen gegeben hätte. Dabei erfolge die Überprüfung "insbesondere hinsichtlich Versand und Fehlermeldungen". Die Überprüfung hätte ergeben, dass Fehler nicht erfolgt seien.
Rz. 36
Interessant: Das Berufungsgericht holte eine dienstliche Stellungnahme der Geschäftsstelle für Berufungseingänge ein. Die E-Akte bei Gericht wurde auf einen Eingang der entsprechenden Berufungsbegründung für das Datum des 10.9.2019 hin durchsucht; gefunden wurde ein solcher Eingang jedoch nicht. Das Gericht forderte sodann die Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO in der Kanzlei an. Im übersandten Übermittlungsprotokoll befand sich unter dem Abschnitt "Zusammenfassung Prüfprotokoll" unter dem Unterpunkt "Meldungstext" folgende Angabe: "Die Nachricht konnte nicht an den Intermediär des Empfängers übermittelt werden" und zudem unter dem Unterpunkt "Übermittlungsstatus" die Angabe "Fehlerhaft". Das Berufungsgericht wies daraufhin den Antrag auf Wiedereinsetzung zurück und verwarf die Berufung als unzulässig; hiergegen legte die Beschwerdeführerin Rechtsbeschwerde ein.
Rz. 37
Die gem. § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 S. 4, § 238 Abs. 2 S. 1 ZPO statthafte und auch form- und fristgerecht eingereichte Rechtsbeschwerde war jedoch unzulässig. Wie vielfach in der Praxis verkannt wird, bedeutet die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde, die in § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO gesetzlich normiert ist, nicht zugleich auch, dass diese zulässig ist. Für die Zulässigkeit einer auch gesetzlich vorgesehen Rechtsbeschwerde müssen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO wie bei einer Rechtsbeschwerde, die allein aufgrund der Zulassung des Rechtsmittelgerichts statthaft ist, eingehalten werden. Zulässig ist jede Rechtsbeschwerde danach nur, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder aber die Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des höchsten Zivilgerichts erfordern. Na...