Ralf Knaier, Dr. Peter Stelmaszczyk
Rz. 538
Die Anwachsung führt zu einer Übertragung des Vermögens einer Personengesellschaft auf einen Gesellschafter. Anwachsungsvorgänge können bei Umstrukturierungen vielfältig eingesetzt werden. Sie können sowohl den Formwechsel einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft ermöglichen als auch die Verschmelzung einer Personengesellschaft mit einer bestehenden Kapital- oder Personengesellschaft.
a) Anwachsung
Rz. 539
Die gesetzliche Grundlage für die Anwachsung fand sich bislang in § 738 Abs. 1 BGB a.F. und seit dem 1.1.2024 in § 712a Abs. 1 BGB n.F. Danach wächst im Fall des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters aus einer GbR das Gesellschaftsvermögen im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den letzten verbleibenden Gesellschafter über. Im Gegenzug erhält der ausscheidende Gesellschafter aus dem Gesellschaftsvermögen eine Abfindung.
Rz. 540
Der Übergang des Eigentums auf den letzten Gesellschafter erfolgt unmittelbar kraft Gesetzes. Eine formelle Übertragung des Eigentums an den einzelnen Vermögensgegenständen im Wege der Einzelrechtsnachfolge ist weder erforderlich noch möglich. Der verbleibende Gesellschafter wird automatisch mit dem Ausscheiden des vorletzten Gesellschafters und somit unabhängig von seiner Eintragung in das Grundbuch Eigentümer. Das Grundbuch muss daher nur berichtigt werden. Eine Auflassung ist nicht erforderlich.
Außer den Aktiva gehen auch sämtliche Passiva und bestehenden Vertragsverhältnisse auf den letzten Gesellschafter automatisch über, ohne dass es einer ausdrücklichen Zustimmung der Gläubiger bzw. der anderen Vertragspartner bedarf. Sofern bei einer KG neben den Kommanditisten auch der Komplementär aus der Gesellschaft ausscheidet, bedeutet dies allerdings, dass der letzte verbleibende Kommanditist nun unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen für die noch bestehenden Verträge und Verbindlichkeiten der ehemaligen KG haftet.
Rz. 541
Die Anwachsung ist gesetzlich nur für die GbR ausdrücklich geregelt. Die Anwachsungsprinzipien des § 738 Abs. 1 BGB bzw. § 712a Abs. 1 BGB gelten über die Verweisungsnorm von § 105 Abs. 3 HGB auch für Personenhandelsgesellschaften.
b) Gestaltungsmodelle
Rz. 542
Eine Anwachsung des Gesellschaftsvermögens erfolgt, sobald sich sämtliche Anteile einer Personengesellschaft bei einem Gesellschafter vereinigen. Dies kann dadurch erreicht werden, dass alle Gesellschafter bis auf einen Gesellschafter aus der Gesellschaft austreten. Hierbei handelt es sich um das "einfache" bzw. "klassische" Anwachsungsmodell.
Rz. 543
Alternativ können sämtliche Gesellschaftsanteile auf einen Gesellschafter oder einen außenstehenden Dritten übertragen werden. Diese Gestaltungsvariante wird "erweiterte Anwachsung" genannt.
aa) Klassisches Anwachsungsmodell (einfache Anwachsung)
Rz. 544
Bei einer Umstrukturierung nach dem klassischen Anwachsungsmodell treten sämtliche Gesellschafter bis auf einen zu einem einheitlichen Zeitpunkt aus der Personengesellschaft aus.
Hinweis
Häufig handelt es sich bei dem verbleibenden Gesellschafter um die Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG, sodass im Ergebnis ein Formwechsel von der Personengesellschaft in eine GmbH vorliegt.
Rz. 545
Zur Umsetzung des klassischen Anwachsungsmodells ist zunächst ein Beschluss der Gesellschafter über das Ausscheiden aller Gesellschafter bis auf einen Gesellschafter erforderlich. In dem Beschluss ist der Zeitpunkt des Austritts der Gesellschafter und somit des Übergangs des Gesellschaftsvermögens auf den verbleibenden Gesellschafter festzulegen (Anwachsungsstichtag).
Rz. 546
Darüber hinaus sind in dem Beschluss Regelungen über die Art und die Höhe von Abfindungszahlungen der Gesellschaft an die ausscheidenden Gesellschafter zu treffen. Dabei ist es möglich, dass die ausscheidenden Gesellschafter auf eine Abfindung verzichten. Dies kann aus Vereinfachungsgründen dann sinnvoll sein, wenn bei einer GmbH & Co. KG die ausscheidenden Kommanditisten an der Komplementär-GmbH im gleichen Verhältnis wie an der aufgelösten KG beteiligt sind. Da sich in diesem Fall der Wert der Beteiligung an der GmbH um den Wert der Kommanditbeteiligung erhöht, verändert sich die Vermögenssituation der Kommanditisten durch ihr Ausscheiden aus der KG nicht.
Hinweis
Viele Gesellschaftsverträge enthalten Kündigungsklauseln, die es einzelnen Gesellschaftern ermöglichen, unter Einhaltung einer Kündigungsfrist aus der Gesellschaft auszuscheiden. Derartige Kündigungsfristen müssen bei der Festlegung des Stichtags des Austritts der Gesellschafter nicht berücksichtigt werden. Denn durch den Gesellschafterbeschluss wird der Gesellschaftsvertrag im Hinblick auf die Durchführung der Anwachsung einvernehmlich abgeändert.
Rz. 547
Der Gesellschafterbeschluss über die Durchführung des Anwachsungsmodells muss grds. einstimmig gef...