Rz. 21

Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Gutachtenanordnung ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Anordnung maßgeblich.[34] Für die Rechtmäßigkeit kommt es zunächst darauf an,[35] ob die Behörde in formell[36] und materiell einwandfreier Weise vom Betroffenen zu Recht die Beibringung eines Fahreignungsgutachtens verlangt hat und ob im Falle der Nichtvorlage eines solchen Gutachtens gem. § 11 Abs. 8 FeV auf die Fahrungeeignetheit des Klägers geschlossen werden darf. Dies setzt im Wesentlichen voraus, dass

Tatsachen vorliegen, die geeignet sind, im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt Bedenken gegen die Fahreignung des Klägers zu begründen (vgl. § 11 Abs. 2 S. 1 und 2; § 11 Abs. 3, § 11 Abs. 4 FeV),
die aufzuklärenden Fragestellungen in den Kompetenzbereich der von der Behörde benannten Fachrichtung des Gutachters[37] (vgl. § 11 Abs. 2 bis Abs. 4) fallen; wird ein Facharzt benannt, so muss die aufzuklärende Fragestallung in den Kompetenzbereich dieses Facharztes fallen (vgl. § 11 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 FeV; Spezialfall: § 12 Abs. 8 FeV: augenärztliches Gutachten),
die behördliche Gutachterbenennung nicht widersprüchlich ist; es muss hinreichend bestimmt sein, welche Begutachtung vom Betroffenen verlangt wird und welche Art Gutachter er beauftragen muss,[38]
die von der Behörde vorgegebene Fragestellung den sich aus § 11 Abs. 6 S. 1 FeV ergebenden Anforderungen genügt,
die Behörde den durch § 11 Abs. 6 S. 2 und 4 FeV vorgeschriebenen Informationspflichten nachgekommen ist.
 

Rz. 22

Die Gutachtenanforderung ist ferner rechtmäßig, wenn

aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des Betroffenen bestehen und
die angeordnete Überprüfung formell und materiell rechtmäßig, insbesondere ein anlassbezogenes, geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären.[39]
 

Rz. 23

Die Anordnung ist nach ständiger Rechtsprechung des BVerwG dann rechtmäßig, wenn die Behörde einen Gefahrenverdacht annehmen darf, der seinerseits Gefahrenerforschungsmaßnahmen und Gefahrenerforschungseingriffe rechtfertigt.[40] Es genügen zur Annahme von Zweifeln aber nicht bereits bloße Vermutungen, Spekulationen oder lediglich entfernt liegende Möglichkeiten. Anknüpfungspunkt sind danach nur erkennbare und konkrete Tatsachen, die unter Zugrundelegung einer Wahrscheinlichkeitsprognose zu einem Schadenseintritt für die Verkehrsgemeinschaft führen können. Untersuchungen "ins Blaue" hinein sind jedenfalls rechtswidrig.[41] Die Tatsachen, auf die die Behörde ihre Zweifel an der Kraftfahreignung stützt, sind in der Anordnung, ein Gutachten beizubringen, substantiiert darzulegen.[42] An die Begründung der Eignungszweifel sind strenge Anforderungen zu stellen, denn die Gutachtenaufforderung ist nach h.M. nicht selbstständig anfechtbar, weswegen dem Betroffenen – mit Blick auf die in § 11 Abs. 8 FeV vorgesehenen rechtlichen Konsequenzen – die Möglichkeit gegeben werden muss, sich frühzeitig Klarheit darüber zu verschaffen, ob die Anordnung rechtmäßig ist.[43] Ob ausreichende Tatsachen vorliegen, ist nach den gesamten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen.[44]

 

Rz. 24

Mit Blick darauf, dass einer FE existenzsichernde Bedeutung zukommen kann, dass die Aufforderung mit beträchtlichen Kosten verbunden ist und vor allem, dass in einer solchen Untersuchung der Betroffene gezwungen ist, persönliche Daten preiszugeben, die nur aufgrund eines Gesetzes und zur Wahrung erheblicher Belange erhoben werden dürfen, muss sich die Aufforderung, ein Gutachten beizubringen, nach der Rechtsprechung des BVerfG auf solche Mängel beziehen, die bei vernünftiger lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kfz nicht verkehrsgerecht umsichtig verhalten werde.[45]

 

Rz. 25

Die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 StVG kann die Gutachtenanordnung durch die Verwaltungsbehörde hindern. Die in § 3 Abs. 4 S. 1 StVG angeordnete Bindung der Verwaltungsbehörde an die Beurteilung der Kraftfahreignung in einem Strafurteil steht nämlich nicht nur der Entziehung der FE, sondern auch vorbereitenden Aufklärungsmaßnahmen wie der Anforderung eines Gutachtens entgegen.[46] Diese Bindungswirkung tritt allerdings nicht ein, wenn die Fahrerlaubnisbehörde einen umfassenderen Sachverhalt als das Strafgericht zu beurteilen hat. Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Fahrerlaubnisbehörde die Gutachtensanforderung nur auf strafgerichtliche Vorverurteilungen stützt, die das Strafgericht in seinem letzten Urteil bei der Strafzumessung zu Lasten des Führerscheininhabers berücksichtigt hat.[47] Die Fahrerlaubnisbehörde ist mit Blick auf die Bindungswirkung des § 3 Abs. 4 StVG nicht gehindert, gem. § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. b FeV die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, wenn in den Gründen des Strafurteils allein ausgeführt ist, das Gericht habe nicht positiv feststellen können, dass der Angeklagte zum Führen von Kraftfahr...

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