Rz. 33
Für den Berufungsbeklagten entsteht ebenfalls eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV. Sie entsteht mit der ersten Tätigkeit nach Erteilung des Auftrags für das Berufungsverfahren, i.d.R. also mit der Entgegennahme der Information (Vorbem. 3 Abs. 2 VV).
Rz. 34
Für die volle Gebühr ist allerdings Voraussetzung, dass der Anwalt einen Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, eingereicht oder er für seine Partei einen gerichtlichen Termin wahrgenommen hat (arg. e Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV). Für das Entstehen der vollen Verfahrensgebühr genügt es, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten lediglich ankündigt, die Zurückweisung der Berufung zu beantragen. Dies ist bereits ein ausreichender Sachantrag i.S.v. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV.
Beispiel 9: Volle Verfahrensgebühr
Der Anwalt legt gegen die erstinstanzliche Verurteilung des Mandanten zur Zahlung von 15.000,00 EUR Berufung ein und beantragt in Abänderung des vorinstanzlichen Urteils die Abweisung der Klage. Der Anwalt des Klägers bestellt sich im Berufungsverfahren und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
Der Anwalt des Berufungsbeklagten erhält eine volle 1,6-Verfahrensgebühr (Nr. 3200 VV).
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
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1.148,80 EUR |
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(Wert: 15.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.168,80 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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222,07 EUR |
Gesamt |
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1.390,87 EUR |
Rz. 35
Fehlt es an einem Schriftsatz, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, und einem gerichtlichen Termin, entsteht lediglich die ermäßigte 1,1-Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV.
Beispiel 10: Ermäßigte Verfahrensgebühr
Der Anwalt legt gegen die erstinstanzliche Verurteilung des Mandanten zur Zahlung von 15.000,00 EUR Berufung ein. Der Anwalt des Klägers bestellt sich im Berufungsverfahren. Später wird die Berufung zurückgenommen.
Es entsteht für den Anwalt des Berufungsbeklagten jetzt nur eine 1,1-Verfahrensgebühr (Nr. 3200, Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV). Die Bestellung im Berufungsverfahren ist noch kein Sachantrag und löst daher die volle Gebühr nicht aus.
1. |
1,1-Verfahrensgebühr, Nrn. 3200, 3201 VV |
|
789,80 EUR |
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(Wert: 15.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
809,80 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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153,86 EUR |
Gesamt |
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963,66 EUR |
Rz. 36
Hätte der Anwalt des Berufungsbeklagten bereits mit Bestellung die Zurückweisung der Berufung beantragt, dann wäre die volle 1,6-Verfahrensgebühr angefallen. Es wäre dann zu rechnen wie im Beispiel 9.
Rz. 37
Nur eine ermäßigte Gebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV entsteht auch dann, wenn sich die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten darauf beschränkt, gegenüber dem Gericht anzuzeigen, dass die Parteien sich auf eine vergleichsweise Erledigung des Rechtsstreits verständigt haben, den Vergleichstext mitzuteilen und darauf hinzuweisen, dass nach der Zustimmung des Beklagten nach § 278 Abs. 6 ZPO verfahren werden könne.
Rz. 38
Ebenso entsteht nur die ermäßigte 1,1-Verfahrensgebühr nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV, wenn der Prozessbevollmächtigte des Berufungsbeklagten auf Anfrage des Gerichts einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO widerspricht.
Rz. 39
Vertritt der Anwalt des Berufungsbeklagten mehrere Auftraggeber wegen desselben Gegenstands, dann erhöht sich seine Verfahrensgebühr ebenfalls um 0,3 je weiteren Auftraggeber, höchstens um 2,0. Insoweit kann auf die Berechnungen zu den Beispielen 3 und 5 Bezug genommen werden.
Rz. 40
Problematisch ist es, festzustellen, wann dem Anwalt des Berufungsbeklagten der Auftrag zur Berufung erteilt worden ist und ob er bereits Tätigkeiten im Hinblick auf die Berufung vorgenommen hat. Eindeutig ist die Rechtslage, wenn dem Anwalt der Auftrag erteilt worden ist, sich im Berufungsverfahren zu bestellen und er den Berufungsbeklagten insoweit vertreten soll. Andererseits ist eine Bestellung nicht erforderlich, da die Verfahrensgebühr nicht erst mit Bestellung, sondern bereits mit Entgegennahme der Information entsteht (Vorbem. 3 Abs. 2 VV).
Rz. 41
Die Rspr. ist hier uneinheitlich. Nach einer älteren Entscheidung des KG entsteht die Verfahrensgebühr, wenn der erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte eine gegen seinen Mandanten gerichtete Rechtsmittelschrift entgegennimmt, da anzunehmen sei, dass er anschließend prüfe, ob etwas für den Mandanten zu veranlassen sei. Damit entfalte er eine Tätigkeit, die bereits die Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV zum Entstehen bringe, allerdings in verminderter Höhe nach Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3201 VV; die Einreichung eines Schriftsatzes sei hierfür nicht erforderlich. Zugleich liege in dieser Tätigkeit keine bloße Neben- bzw. Abwicklungstätigkeit der erstinstanzlichen Beauftragung gem. § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG.
Rz. 42
Nach einer neueren Entscheidung des KG reicht dagegen die bloße Entgegennahme und Weiterleitung der Berufungsschrift und des Antrag...